Die "Frankfurter Allgemeine" hat ihrem Ruf, dass die Farben der Deutschlandflagge der politischen Färbung ihrer Ressorts entspricht (schwarz: Politik, rot: Feuilleton, gold/gelb: Wirtschaft), zuletzt alle Ehre erwiesen. Als die globalen Flüchtlingsströme für kurze Zeit Deutschland erreicht hatten, griff Innenpolitik-Chef Jasper von Altenbockum fast täglich in die Tasten, um auf den Unterschied von Willkommenskultur und dem deutschen, respektive europäischen Recht hinzuweisen: Ein Konservativer in bester "FAZ"-Tradition. Doch seine scharfen Analysen führen nicht immer zu einem überzeugenden Ergebnis, wie sein jüngster Leitartikel beweist.
Während Christian Geyer die Flüchtlingspolitik im linksliberalen Feuilleton der Zeitung kritisierte, und der AfD-nahe Philip Plickert im Wirtschaftsteil nicht müde wird, durch Themen-Setting, sowie in und zwischen den Zeilen vor dem Islam, dem Euro und der angeblich drohenden Abschaffung des Bargeldes zu warnen (und sich bei Twitter in fast kindischer Manie über schlechte Presse für Merkel und schlechte Umfragen für die CDU freut), hat sich von Altenbockum keineswegs zum "Alternativen" gewandelt.
Für einen echten staatstragenden Konservativen ist eine rechtspopulistische Partei keine "Alternative", sondern eine Gefahr. Altenbockum ist zu klug, um aus Wut und Trotz über Angela Merkel gleich lemmingenhaft die AfD zu preisen. Während man über seine politischen Ansichten streiten kann, zeigt sich die Altenbockum'sche Analysestärke erneut im Leitartikel "Politik als Kampagne" vom vergangenen Samstag - doch das Ergebnis seiner Gedanken bleibt unverständlich.
Es wurde noch nie mehr erklärt als heute
Es ist ein Leitartikel, der die "alternativlose" Merkel ebenso im Visier hat wie die "Alternative", und der die wichtigste Leistung des Journalismus hochhält: Die Erklärung. "Ist Politik die Kunst der Erklärung?", beginnt sein Kommentar: "Über die Europapolitik heißt es schon lange: Werde sie richtig erklärt und 'erzählt', nehme die Euroskepsis ab. Ein neues 'Narrativ' müsse her. Zu Zeiten der Schuldenkrise hieß es dann: Wenn die Bundesregierung ihre Politik gegenüber Griechenland nur gründlich erklären und besser 'vermitteln' würde, könnte man ihr auch folgen. Auch jetzt, ein Jahr nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, heißt es wieder: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Politik nur richtig erklären könnte, wäre ihr allgemeine Zustimmung sicher."
Mit dieser Einleitung wird schon klar, dass von Altenbockum nichts hält von der These, wer gut erkläre, richtig erläutere und gründlich vermittele, dabei immer schön bei den Tatsachen bleibe, beruhige die Bürger und gebe ihnen Gewissheit.
Richtigerweise stellt der "FAZ"-Redakteur dann fest: "Verwunderlich daran ist, dass ein Mangel an Erläuterung just zu einer Zeit beklagt wird, in der es so viel Erklärung, so viel Vermittlung, so viel Informationen gibt wie nie zuvor. Wer wissen will, wie der Euro funktioniert (oder warum nicht); wer die Schuldenkrise und Griechenland "verstehen" will; wer in der Europapolitik generell auf dem Laufenden sein will; wer die Verästelungen des deutschen und europäischen Asylrechts, in Theorie oder Praxis, erklärt haben möchte; kurz: wer die Politik der deutschen Kanzlerin und ihrer Regierung nachvollziehen möchte, der hat Möglichkeiten, von denen frühere Generationen nur träumen konnten. Fast möchte man sagen: Das Bedürfnis nach Erklärung scheint umso größer zu werden, desto mehr es davon gibt."
Wieso sollen Politiker erklären, wenn das eine Aufgabe der Journalisten ist?
Sodann kommt von Altenbockum zur These seines Leitartikels: "Noch verwunderlicher aber ist, dass die Befriedigung dieses Bedürfnisses von Politikern verlangt wird - und nicht etwa von denjenigen, deren Beruf das ist, von Journalisten."
Er stellt fest, dass Politiker nicht erklären sollen und wollen: Es bliebe beim guten Zureden, bei Argumenten, bei Überzeugungsarbeit, bei der Rechtfertigung von Entscheidungen. Jeder, der die Netflix-Serie "House of cards" oder die - noch bessere - dänische Polit-Serie "Borgen" gesehen hat, weiß, was von Altenbockum meint. Doch in den Talkshows werden Politiker als Experten präsentiert, die viel erklären und wenig streiten. Vielleicht ist das eine Folge der Großen Koalition auf Bundesebene, vielleicht sagen die Spin-doctoren den Politikern, dass Streit nicht gut ankommt in den heimischen Wohnzimmern der Nation. Vielleicht ist es auch eine Form der asymmetrischen Mobilisierung, mit der die CDU bei den letzten Wahlen erfolgreich war, wenn auch auf Kosten einer auf Meinungsverschiedenheit ausgelegten Demokratie.
"Angesichts immer komplexerer Zusammenhänge drückt sich darin vielmehr das Bedürfnis aus, eine einfache Sicht auf ein vermeintlich notwendiges Resultat zu haben", meint von Altenbockum: "Es geht um den Nachweis, dass etwas 'richtig' ist und 'stimmt'. Da landet man leicht in den 'Echokammern' des Internets, aber auch bei Angela Merkel." Wieso landet man dann nicht beim Journalismus? Das führt der Autor nicht weiter aus. Schade, denn hierzu wäre die Analyse eines der wichtigsten F.A.Z.-Journalisten notwendig und sinnvoll gewesen. Auch seine Zeitung, die Erklärung von Meinung schon im Layout ihrer Titelseite seit Gründung sorgsam trennt, und beides auf hohem Niveau anbietet, verliert seit Jahren Leser und Marktanteile. Weshalb?
Stattdessen stürzt von Altenbockums treffende Analyse beim Fazit ab: Er schreibt, Merkels "Alternativlosigkeit" biete eine Erklärung, einen Plan an. Nach seiner Ansicht dürfe man aber gerade das nicht von der Politik erwarten. Fakt aber ist: Zehn Jahre lang hat die Merkelsche "Alternativlosigkeit" die Wähler begeistert, bei der letzten Bundestagswahl bekam die Union fast die Hälfte aller Bundestagsmandate. Dass Merkel nun nicht mehr in diesem Maße begeistert, gründet sich in der gleichen Eigenschaft, die die Wähler früher immer an ihr geschätzt haben. Denn der Merkel'sche Plan, etwa in der Flüchtlingskrise, ist in großen Teilen faktisch alternativlos, will man nicht auf Menschen an der Grenze schießen müssen. Es ist daher nicht Merkels Methode, die die Menschen verstört, sondern ihr eigenes plötzliches Rendez-vous mit der Globalisierung des 21. Jahrhunderts.
Altenbockums Fazit überzeugt nicht - Selbstkritik fehlt
"Das Ergebnis ist eine Polarisierung, wie sie Deutschland seit mehreren Jahren erlebt", schreibt von Altenbockum gegen Ende, der aber darüber schweigt, wie weit der Journalismus, wie weit seine eigenen Kommentare dazu beigetragen haben. Sein Text "Politik als Kampagne" vergisst, dass sich auch die "FAZ" treffend auf Kampagnen versteht, etwa für die rasche Anerkennung von Slowenien und Kroatien als eigenständige Staaten in den neunziger Jahren, gegen einen Bundespräsidenten Christian Wulff, der ein Bobbycar zu viel als Geschenk angenommen hatte, oder - ganz aktuell - lauthals für den Freihandel und gegen Wachstumskritiker.
Jasper von Altenbockum, seit 1989 bei der "Frankfurter Allgemeinen", wird sich an all diese journalistischen Kampagnen noch gut erinnern können. Vielleicht sind sie mit ein Grund, weshalb die Menschen eine Erklärung und einen Plan jahrelang bei der Kanzlerin gesucht haben - und bisher auch immer bekommen haben.
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