rbb-Programmdirektorin Claudia Nothelle: "Radio ist ein sehr unterschätztes Medium"

26.10.2016
 

Radio hören gehört auch im digitalen Zeitalter immer noch zum guten Ton in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen nach wie vor Unterhaltung und Information. Aber die Anforderungen haben sich geändert. Über den Stellenwert des Radios, seine Aufgaben und Probleme sprach kress.de mit der Programmdirektorin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Claudia Nothelle.

kress.de: Welche Bedeutung hat Radio eigentlich heute in der modernen Medienwelt?

Claudia Nothelle: Radio ist ein sehr unterschätztes Medium. Viele reden davon, Radio verliere an Bedeutung. Tatsächlich ist die Radionutzung seit Jahren sehr stabil. Das Radio ist für viele Menschen immer noch der wichtigste Begleiter durch den Tag, vor allem morgens. Der eine braucht Informationen und Debatten, die andere Musik zum Munterwerden, der dritte in erster Linie Wetter und Verkehr - und alle hören Radio. Das gilt übrigens auch für junge Leute, auch sie hören Radio, wenn auch anders als frühere Generationen. Wahrscheinlich ist es beim Radio so wie es in der vergleichsweise kurzen Geschichte der Medien immer war: Es kommt etwas Neues dazu, aber es geht kein Medium verloren. Kurzum: Das Radio ist immer noch ein sehr wichtiges Medium im Leben der Menschen.

Ist das Radio auch ähnlich scharfer Kritik ausgesetzt wie die Printmedien - Stichwort "Lügenpresse"?

Claudia Nothelle: Laut einer Umfrage von Infratest Dimap gilt das Radio als das glaubwürdigste Medium.

Welche Bereiche deckt der RBB mit seinen sechs Sendern ab?

Claudia Nothelle: Wir versuchen, ein sehr breites Angebot zu machen und haben uns in verschiedenen Milieus und Zielgruppen positioniert. Wir haben für Nachrichten und Hintergrund Inforadio, für klassische Musik und Kultur das Kulturradio. Dazu zwei Landesprogramme, Radio Berlin 88,8 und Antenne Brandenburg mit vielen Hits aus der Zeit seit den achtziger Jahren, die zugleich vieles über die Region berichten und die Hörer durch den Tag begleiten.

Dann gibt es noch zwei Sender mit einem ganz eigenen Profil...

Claudia Nothelle: Wir haben noch Radioeins - ich glaube, einen vergleichbaren Sender gibt es in Deutschland nicht. Radioeins zu hören ist in Berlin auch immer ein Lebensgefühl, ein Bekenntnis. Die Redaktion legt viel Wert, in der Metropole Berlin, aber auch in Brandenburg zuhause zu sein, die Kolleginnen und Kollegen berichten auf besondere Weise über Politik, Szene, Literatur und vieles mehr. Und zwar mit relativ viel Wortbeiträgen und einer ganz eigenen Musikfarbe jenseits des Mainstreams. Und dann gibt es noch Radio Fritz, unser junges Radio, das viel mehr will, als "nur" die neuste Musik zu spielen. Auch hier wird längst nicht nur Mainstreampop gespielt und die hauptsächlich 14- bis 29-jährigen Fritz-Hörer bekommen hier Informationen für ihre Altersgruppe. Bei beiden Programmen kann man übrigens sehr gut erkennen, wie sich Multimedialität entwickelt. Sie produzieren und experimentieren verstärkt mit Videos - vor allem in den sozialen Netzwerken und mit zunehmendem Erfolg.

Einen absoluten Mainstream-Sender, der nur die neuesten Hits spielt, hat der RBB nicht. Trauen Sie sich nicht zu, hier gegen die Privaten wie Berlins Marktführer RTL anzutreten?

Claudia Nothelle: In der Gesamtregion wird unser Programm Antenne Brandenburg am meisten gehört - und in Berlin sind wir mit Radio Berlin und Radioeins auf den Plätzen drei und vier! Ich bin mir also sicher, wir könnten das genauso gut - aber wir können nicht einfach mal so ein siebtes Programm aufmachen. Ich denke, wir sind mit unseren sechs Sendern sehr gut aufgestellt. Man darf auch nicht vergessen, dass der Radiomarkt in keiner Stadt Europas so umkämpft ist, wie in Berlin. Daher stellt sich doch die Frage, ob wir unsere kommerziellen Mitbewerber wirklich angreifen sollten, weil die Welt dringend ein weiteres Hitradio braucht.

Der RBB ist ja als öffentlich-rechtlicher Sender auch nicht nur auf Quote angewiesen...

Claudia Nothelle: Wir wollen aber Reichweite vorweisen können, denn nur damit werden wir relevant. Wir wollen möglichst viele Menschen erreichen, denn sie zahlen alle Beiträge für uns. Fünf unserer sechs Sender - außer Kulturradio - haben ja auch Werbeeinnahmen, und auch in diesem Zusammenhang spielt die Reichweite eine Rolle. Und schließlich bleibt die Erkenntnis, dass das beste Programm nicht viel wert ist, wenn es niemand hört.

Außer Antenne Brandenburg haben alle RBB-Sender Berlin als Mittelpunkt ihrer Berichterstattung. Schafft das Schwierigkeiten im Umland?

Claudia Nothelle: Das kann man so gar nicht sagen. Antenne, Radioeins und Fritz senden aus Potsdam. Radioeins hat regionale Fenster aus Cottbus und Frankfurt/Oder in seine Berichterstattung eingebaut, in denen über Themen aus der jeweiligen Region berichtet wird. Das ist wichtig, denn Radio ist noch immer stark regional verankert. Fritz ist ohnehin sehr stark in Brandenburg.  Und selbstverständlich sind Kulturradio und Inforadio in Brandenburg ebenso zu Hause wie in Berlin.

Wie groß ist der Etat des RBB-Radios?

Claudia Nothelle: Für unsere Radioprogramme geben wir etwa 30 Millionen Euro im Jahr aus.

Gibt es eine Zusammenarbeit innerhalb der RBB-Familie?

Claudia Nothelle: Ja, vor allem bei den Nachrichten. Inforadio liefert beispielsweise die Nachrichten für Kulturradio mit und bereitet diese auch für die anderen Programme auf.  Nachrichten aus der Innen- oder Weltpolitik muss nicht jede Redaktion für sich selbst formulieren. Wir haben sowohl in Berlin als auch in Brandenburg je eine Redaktion, die sich für alle Programme um die Landespolitik kümmert. So ziemlich jeder Beitrag von Radio Berlin und Antenne Brandenburg läuft auch im Inforadio. Die Studios in Cottbus und Frankfurt, sowie die Büros in Perleberg und Prenzlau arbeiten auch für alle Programme. Bei den regionalen Meldungen und Berichten ist das zum Teil anders, denn jeder Sender braucht ein eigenes Profil. Aber auch hier gibt es Zusammenarbeit. Jedoch: es darf nicht alles gleich klingen. Bei der Berlinale zum Beispiel gibt es zwar einen engen Austausch der Programme untereinander, aber jedes Programm braucht auch seine eigenen Kritiken und Köpfe. Sonst wird es langweilig.

Wie sieht es aus mit dem Internet - ist das mehr Fluch oder mehr Segen fürs Radio?

Claudia Nothelle: Beides. Es ist eine Herausforderung für uns, denn es ist ein weiterer Verbreitungsweg. Alle unsere Programme gibt es auch im Livestream, denn es hören uns mehr und mehr Menschen auch über das Internet zu. Zudem ist die Konkurrenz sehr viel größer geworden durchs Internet, auch wenn das erst wenige Menschen hören. Trotz tausender Internetradiosender hat sich herausgestellt, dass die Hörer ein lokales Radio hören wollen. Wir bieten Playlists und Podcasts an und treten über soziale Medien in einen regen Austausch mit unseren Hörerinnen und Hörern. Wir stellen fest, dass zeitunabhängiges Hören immer wichtiger wird. Es gibt auch vermehrt Videos, Livestreams von Konzerten oder Debatten. Radio ist meiner Ansicht nach ohne Internet nicht mehr denkbar. Jedes Programm hat seine eigene Website, zusätzlich gibt es unser digitales regionales Infoangebot RBB24.

Wir sprechen die ganze Zeit darüber, was Sie so alles bieten. Haben Sie auch einen Wunsch an die Hörer?

Claudia Nothelle: Sagt uns, was Euch gefällt und was nicht. Und sprecht über uns - denn nur, wer im Gespräch ist, ist auch relevant.

Hintergrund

Claudia Nothelle begann bereits während ihres Studiums der katholischen Theologie, Germanistik und Pädagogik journalistisch zu arbeiten. Die 1964 in Unna geborene Journalistin war von 1992 bis 2006 beim MDR-Fernsehen beschäftigt, arbeitete in dieser Zeit unter anderem auch für das Magazin "Fakt" und berichtete aus Neu-Dehli. Von 2003 bis 2006 arbeitete sie als Korrespondentin in Berlin. Dann wurde sie zur neuen Chefredakteurin des RBB-Fernsehens gekürt. Als die ARD-Anstalt Fernseh- und Hörfunkdirektion, den Internetauftritt und den Videotext 2009 zu einer multimedialen Programmdirektion zusammenlegte, übernahm sie den Chefposten. Ihr derzeitiger Vertrag läuft bis 2019.

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