Chefredakteur Tom Strohschneider von "Neues Deutschland": "Nähe ist für mich ein Problem der journalistischen Haltung"

 

"Man kann sich natürlich fragen, was Journalisten in Netzwerken wie der Atlantikbrücke zu suchen haben", sagt Tom Strohschneider, Chefredakteur der in Berlin erscheinenden überregionalen Tageszeitung "Neues Deutschland", im Gespräch mit kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

kress.de: In welchen Bereichen sehen sie eine Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland?

Tom Strohschneider: Zunächst vorweg: Verglichen mit den Entwicklungen in anderen Staaten wie Ungarn, Polen oder der Türkei kann die Lage der Pressefreiheit in der Bundesrepublik als gut beschrieben werden. Das heißt nicht, dass es keine Probleme und besorgniserregende Entwicklungen geben würde: immer wieder gibt es Transparenzblockaden, der Zugang zu Informationen muss erst juristisch erstritten werden, Journalistinnen und Journalisten geraten ins Visier von Sicherheitsbehörden und so fort. Die teils gewaltsame Aggression, die von rechten Aufmärschen gegenüber Medien ausgeht, hat zu Recht zu großer Empörung geführt.

Wenn man über die Bedrohung für die Pressefreiheit reden will, kann man aber von den "inneren Gründen" dafür nicht schweigen: Die ökonomische Lage des Mediensektors hat zu Kosteneinsparungen bei der journalistischen Arbeit geführt, Redaktionen kaufen Teile der Berichterstattung hinzu, es entstehen rein betriebswirtschaftlich gedachte Contentcluster, es fehlt an Rechercheressourcen - die Folge: eine Tendenz zur inhaltlichen Vereinheitlichung, abnehmende Vielfalt, kurzum: weniger "Vierte Gewalt". Eine zweite "innere" Bedrohung: Wir bewegen uns viel zu oft in erregungsökonomisch funktionierenden Aufmerksamkeitszyklen und einer Art selbstbezüglichen "medialen Blase". Wo ruhige Analyse, tiefe Recherche, Einbettung in Hintergründe nötig wäre, dominiert zu oft das Rattenrennen der Eilmeldungen, exklusiven Vorabs und "thematischen Säue", die durchs Dorf getrieben werden - und kurz darauf vom Radar verschwinden.

kress.de: Behörden und Unternehmen "mauern" oft, zumal wenn es um heikle Informationen geht. Sie verweigern Interviews - oder überlassen nur ein meist wenig aussagekräftiges Statement. Ist das aus Ihrer Sicht eine Einschränkung der Pressefreiheit?

Tom Strohschneider: Behörden und Unternehmen folgen einer eigenen Kommunikationslogik, damit muss man leben. Ich würde aber einen Unterschied machen zwischen Institutionen, die eine andere Verpflichtung gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit haben als private Unternehmen. Dass es bisweilen schwierig ist, an heikle Informationen heranzukommen, ist aber für sich genommen noch keine Einschränkung der Pressefreiheit, solange die Enthüllung dann nicht - siehe die Affäre netzpolitik.org - zum Anlass autoritärer staatlicher Reaktionen wird. Recherche ist anstrengend, und solange rechtsstaatliche Mittel offen stehen, man also gegebenenfalls die Gerichte bemühen kann, sehe ich hier nicht das entscheidende Problem.

kress.de: Gabor Steingart hat in einer harten Analyse vor Mitarbeitern die zu große Nähe - etwa zu Wirtschaftsmanagern - in der Berichterstattung kritisiert. Jürgen Leinemann sprach oft von der größten Korruptionsgefahr von Journalisten durch "zu große Nähe" zu Informanten. Sehen Sie auch diese "Nähe" als Problem der Pressefreiheit?

Tom Strohschneider: "Nähe" ist für mich kein Problem der Pressefreiheit, sondern eines der journalistischen Haltung. Niemand muss sich zum Werkzeug von Spins und Durchstechereien machen lassen, ohne solche Informationen kritisch zu kontextualisieren; niemand muss intellektuell korrumpieren lassen. Dass dies dennoch immer wieder geschieht, ist leider wahr.

kress.de: In der "nervösen" Medienkritik - gibt es jenseits aller Abwehr der Kritik - eine sehr weitgehende Übereinstimmung: die Kritik an zu viel Mainstream in der Berichterstattung, an dem Sog der großen Übereinstimmung von Journalisten. Schränkt der diagnostizierte Mainstream die Pressefreiheit ein?

Tom Strohschneider: Ich halte den Begriff Mainstream für unpassend, weil in einer solchen Verallgemeinerung zu verschwinden droht, dass hervorragende, kritische, die Wächterfunktion erfüllende journalistische Arbeiten eben aus diesem "Mainstream" kommen. Zugleich ist das Empfinden eines "inhaltlichen Einerleis" auch keine Einbildung. Neben den oben genannten ökonomischen Gründen und einer auch nicht völlig in Abrede zu stellenden "politischen Schere" im Kopf eines Teils der Medienleute wird dieser Eindruck auch durch eine politisch durchtränkte Sprache erzeugt. Wenn man etwa mit Blick auf die Schuldenkrise immer wieder liest, "wir haben den Griechen schon so viel geholfen", wenn mit strengen Auflagen versehene Kreditzahlungen als "Hilfspakete" beschönigt werden, wenn eine demokratisch gewählte Politik, die sich von neoliberalen Imperativen abwendet als "reformunfähig" diffamiert wird, und sich dies als Gesamttenor durch die Berichterstattung zieht, dann kann man schon von einem "rhetorischen Mainstream" sprechen, der auch politisch Wirkung in den Köpfen der Medienkonsumenten hinterlässt - zugleich aber eben auch eine pauschale Abwehr gegenüber "den Medien", der es dann selbst schnell an kritischer Differenzierung fehlt.

kress.de: Die gewaltige Macht der PR-Pressestellen, Content Marketing, Anzeigen-Abhängigkeit sowie vielfältige Kooperationen über Konferenzen und Kongresse etc: wirkt sich diese Tendenz auf das Niveau der Pressefreiheit aus?

Tom Strohschneider: Natürlich negativ. Und es verstärkt immer mehr ein Ungleichgewicht: Auf der einen Seite gerät die Unabhängigkeit und damit auch die Attraktivität von Medien weiter unter Druck, was auf der Erlösseite Auswirkungen hat, weshalb dann aufgrund der privatkapitalistischen Organisiertheit der Medien der Kostendruck steigt, was wiederum die Neigung erhöht, sich in fragwürdige Partnerschaften mit einer ökonomisch weit besser dastehenden PR- und Kommunikationsbranche zu begeben. Ein Teufelskreis.

kress.de: Viele relevante Journalistinnen und Journalisten, die in den außenpolitischen Ressorts arbeiten, sind Mitglied etwa in der "Atlantikbrücke"; wirkt sich dies auf die Nutzung der Pressefreiheit aus, weil es eine Einbindung in einen Konsens über wesentliche Fragen gibt?

Tom Strohschneider: Auch hier gilt für mich: Das ist vor allem eine Frage der journalistischen Haltung. Man kann sich natürlich ohnehin fragen, warum überhaupt JournalistInnen in solchen Netzwerken mitwirken. Aber es wäre auch falsch, MedienarbeiterInnen jede Mitgliedschaft in politischen, gesellschaftlichen Organisationen zu untersagen. Viele KollegInnen sind zum Beispiel in der Gewerkschaft organisiert, was aber nun auch nicht gerade zu einer übertrieben gewerkschaftsfreundlichen Berichterstattung geführt hat.

Es verbirgt sich hier auch eine grundsätzlichere Frage: Es herrscht eine Objektivitätsfiktion, die von einer Art Reinraum-Journalismus ausgeht, dabei aber unterschlägt, dass Medienarbeit eine in vielfältigen gesellschaftlichen Einfluss- und Abhängigkeitsverhältnissen ist. Wir sollten dies dann auch sagen, gegebenenfalls auch Mitgliedschaften usw. transparent zu machen, wo dies für LeserInnen einen wichtigen Hintergrund für die Lektüre bildet. Dann muss man auch politische Haltung nicht verstecken.

Die Fragen an Tom Strohschneider, Chefredakteur von "Neues Deutschland", stellte kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Hinweis: Dieser Beitrag ist Teil der großen KRESS-Reihe zum Thema Pressefreiheit.

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