DJV-Vorsitzender Frank Überall: "Es gibt in Deutschland keinen Medien-Mainstream"

 

"Selbst wenn ich mir die Kommentarspalten von 'taz', 'Welt' und 'FAZ' nebeneinander lege, finde ich keinen bestimmenden Mainstream", sagt Journalistik-Professor Frank Überall, Vorsitzender vom Deutschen Journalisten-Verband, im Gespräch mit kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

kress.de: In welchen Bereichen sehen sie eine Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland?

Frank Überall: Nicht umsonst ist Deutschland auf der Rangliste der "Reporter ohne Grenzen" zwar gut vertreten, aber nicht auf dem Spitzenplatz. Es gibt leider eine ganze Reihe an Problemen mit der Pressefreiheit. Ich habe den Eindruck, Politiker machen sich den Wert der Pressefreiheit aus Bequemlichkeit allzu oft nicht bewusst: Das fängt bei der Vorratsdatenspeicherung an und hört beim fehlenden Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene nicht auf. Der Staat setzt immerhin keine Gewalt gegen Journalisten ein wie in manchen anderen Ländern: Hierzulande ist Journalist zu sein nicht lebensgefährlich. Trotzdem nimmt die Zahl der auch gewalttätigen Übergriffe zum Beispiel bei rechtsgerichteten Demonstrationen zu. Wir dokumentieren solche Fälle seit einigen Monaten als Deutscher Journalisten-Verband (DJV) in unserem Blog www.augenzeugen.info, um nachhaltig auf diese Einschränkung der Pressefreiheit aufmerksam zu machen.

kress.de: Behörden und Unternehmen "mauern" oft, zumal wenn es um heikle Informationen geht. Sie verweigern Interviews - oder überlassen nur ein meist wenig aussagekräftiges Statement. Ist das aus Ihrer Sicht eine Einschränkung der Pressefreiheit?

Frank Überall: Das ist zunächst eine taktische Frage. Behörden und Unternehmen tun sich doch selbst keinen Gefallen, wenn sie "mauern". Ganz im Gegenteil: Dann merkt jeder Journalist, dass etwas nicht stimmt und fängt noch intensiver an zu recherchieren. Für Behörden, deren Arbeit aus unseren Steuergeldern bezahlt wird und die durch unsere gewählten Vertreter demokratisch kontrolliert werden sollten, müssen aber andere Maßstäbe gelten als für Unternehmen: Wenn Behörden Auskünfte verweigern, ist das schlicht ein gesellschaftlicher Skandal - und oft genug auch ein gezielter Angriff auf die Pressefreiheit.

kress.de: Gabor Steingart hat in einer harten Analyse vor Mitarbeitern die zu große Nähe - etwa zu Wirtschaftsmanagern - in der Berichterstattung kritisiert. Jürgen Leinemann sprach oft von der größten Korruptionsgefahr von Journalisten durch "zu große Nähe" zu Informanten. Sehen Sie auch diese "Nähe" als Problem der Pressefreiheit?

Frank Überall: Darüber kann man ganze Bücher schreiben. Ich habe mich als Sozialwissenschaftler ja intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Natürlich kann es bei einer solchen Nähe Entwicklungen bis hin zu Korruption geben. Zum journalistischen Berufsbild gehört auch eine gewisse Distanz. Es wäre unrealistisch, das subjektiv komplett umzusetzen. Es wird immer Sympathien und Antipathien geben. Letztlich geht es darum, das bei der professionellen Berufsausübung nicht Oberhand gewinnen zu lassen. Ein Arzt oder Staatsanwalt kann auch nicht nach Gutdünken handeln, egal wie nahe er seinen Klienten ist. Insofern: Ja, eine solche Nähe kann zum Problem für die Pressefreiheit werden. Deshalb ist es für jeden Journalisten wichtig, sich das bewusst zu machen und sich berufsethisch entsprechend zu verhalten.

kress.de: In der "nervösen" Medienkritik - gibt es jenseits aller Abwehr der Kritik - eine sehr weitgehende Übereinstimmung: die Kritik an zu viel Mainstream in der Berichterstattung, an dem Sog der großen Übereinstimmung von Journalisten. Schränkt der diagnostizierte Mainstream die Pressefreiheit ein?

Frank Überall: Nein. Es gibt doch eine ganze Bandbreite der Berichterstattung. Oder stellen die Medienkritiker ernsthaft einen Mainstream zwischen "Neuem Deutschland" und "Junger Freiheit"?! Selbst wenn ich mir die Kommentarspalten von "taz", "Welt" und "FAZ" nebeneinander lege, finde ich keinen bestimmenden Mainstream. Dass bei den Nachrichten ein solcher Mainstream unterstellt wird, könnte eine ganz einfache Begründung haben: Dass eben das berichtet wird, was tatsächlich ist...

kress.de: Die gewaltige Macht der PR-Pressestellen, Content Marketing, Anzeigen-Abhängigkeit sowie vielfältige Kooperationen über Konferenzen und Kongresse etc: wirkt sich diese Tendenz auf das Niveau der Pressefreiheit aus?

Frank Überall: Da muss man sich jeden einzelnen Fall genau anschauen. Wenn Transparenz herrscht und keine gegenseitige Abhängigkeit entsteht, können Kooperationen legitim sein. Ein großes Problem ist es aber, wenn Medienunternehmen ihre Redaktionen personell und finanziell ausdünnen. Bei Tageszeitungen werden Freie zuweilen mit Honoraren abgespeist, die unter dem Niveau von Mindestlohn liegen. Selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es inzwischen Bezahlungen, die man als prekär bezeichnen muss. Dann muss man sich nicht wundern, wenn künftig die besser bezahlte PR-Arbeit die Agenda prägt. Da müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir das wollen.

kress.de: Viele relevante Journalistinnen und Journalisten, die in den außenpolitischen Ressorts arbeiten, sind Mitglied etwa in der "Atlantikbrücke"; wirkt sich dies auf die Nutzung der Pressefreiheit aus, weil es eine Einbindung in einen Konsens über wesentliche Fragen gibt?

Frank Überall: Das muss sich nicht zwangsläufig auswirken, weil solche Verbindungen auch Kontakt- und Informationsbörsen sein können. Ich würde mir konsequente Transparenz wünschen - niemand braucht sich wegen einer Mitgliedschaft in einer Partei oder in einer solchen Organisation wie der "Atlantikbrücke" zu verstecken. Wer es trotzdem macht, hat etwas zu verbergen. Das muss dann zum Thema werden, weil es die Pressefreiheit einschränkt. Nicht die Mitgliedschaft an sich.

kress.de: Gibt es eine Einschränkung der Pressefreiheit durch Überlastung und Arbeitsverdichtung von Journalisten? Wird die Pressefreiheit dadurch eingeschränkt, dass diese aufgrund von Zeit-Ressourcenmangel nicht ausreichend wahrgenommen wird?

Frank Überall: Wer kaum noch Zeit zum Recherchieren hat, wird Aussagen womöglich ungeprüft übernehmen. Insgesamt müssen wir uns gesellschaftlich bewusst machen, dass Journalismus nicht zum Nulltarif zu haben ist. Journalistinnen und Journalisten schreiben nicht als Hobby, sondern als Beruf. Sie sind (in der Regel höchst) qualifiziert, haben studiert oder zumindest eine ziemlich lange Ausbildung genossen. Wenn das im wahrsten Sinne des Wortes nicht honoriert wird, sondern redaktionelle Mitarbeiter aus Kostengründen als Contentproduzenten am Fließband eingesetzt werden, hat das dramatische Auswirkungen auf die Pressefreiheit und damit letztlich auf den Fortbestand unserer Demokratie.

Die Fragen an Frank Überall, Professor in Köln und Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, stellte kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Hinweis: Dieser Beitrag ist Teil der großen KRESS-Reihe zum Thema Pressefreiheit.

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