Wirtschaftsjournalismus-Professorin Barbara Brandstetter: "Redaktionen müssen überprüfen, ob sie Ressourcen richtig einsetzen"

 

"Fusionierte Redaktionen, Stellenabbau und - damit verbunden - weniger Zeit für Recherche schränken die Pressefreiheit in Deutschland ein", sagt Barbara Brandstetter, Wirtschaftsjournalismus-Professorin in Neu-Ulm, im Gespräch mit kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

kress.de: In welchen Bereichen sehen sie eine Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland?

Barbara Brandstetter: Es sind im Wesentlichen drei Entwicklungen, die die Pressefreiheit in Deutschland seit einigen Jahren bedrohen: Der personelle Kahlschlag in Redaktionen mit einhergehender Arbeitsverdichtung, teils selbst verschuldete Uniformität und Gleichförmigkeit in den Medien sowie mächtige Pressestellen und fragwürdige Kooperationen von Verlagen insbesondere bei Konferenzen und Kongressen. Dazu gesellt sich der Klassiker, der die Pressefreiheit unvermindert beeinträchtigt: eine zu große Nähe zu den Quellen. Allerdings: dass Pressestellen mauern, ist ärgerlich - und erschwert zweifelsohne die Arbeit von Redaktionen. Mit einer Einschränkung der Pressefreiheit hat dieses Gebaren jedoch nichts zu tun, es ist eine unerfreuliche Begleiterscheinung des Geschäfts. Widmen wird uns also vor allem den wesentlichen drei Beeinträchtigungen der Pressefreiheit unserer Zeit.

kress.de: Gibt es eine Einschränkung der Pressefreiheit durch Überlastung und Arbeitsverdichtung von Journalisten? Wird die Pressefreiheit dadurch eingeschränkt, dass diese aufgrund von Zeit-Ressourcenmangel nicht ausreichend wahrgenommen wird?

Barbara Brandstetter: Fusionierte Redaktionen, Stellenabbau und - damit verbunden - weniger Zeit für Recherche schränken die Pressefreiheit in Deutschland ein. Viele Journalisten sind nicht mehr in der Lage, selbst entwickelte Themen umzusetzen, da sie mit Organisatorischem und dem Abfüllen verschiedener Kanäle beschäftigt sind. Dezimierte Redaktionen wiederum müssen weder Wirtschaftsbosse noch Politik fürchten. So übernehmen überlastete und überarbeitete Journalisten bei Bilanzpressekonferenzen oft den Tenor der Pressemitteilung - für einen Blick in die Zahlen fehlen häufig die Zeit und mitunter auch das notwendige Wissen. Oder man verlässt sich gleich auf das, was die Agenturen liefern. Ausgedünnte Redaktionen sind nicht imstande, komplexe Themen zu recherchieren oder gar zu setzen. Statt zu agieren, reagieren sie, berichten von Ereignissen, die Unternehmen und Verbände auf Pressekonferenzen diktieren. Denn der "Kalenderjournalismus" kostet weniger Kraft, gaukelt zugleich aber Nähe zum Geschehen und Aktualität vor. Dadurch wiederum werden viele Artikel und Sendungen austauschbar. Redaktionen berauben sich der Möglichkeiten zur Differenzierung und Abgrenzung. Die Leserinnen und Leser wenden sich ab, Pressestellen verlieren den Respekt vor den Medien.


Auch wenn fraglos gespart werden muss, müssen sich Redaktionen die Frage gefallen lassen, ob sie ihre Arbeitskraft adäquat einsetzen. Eine angeschlagene Regionalzeitung, die einen Großteil der Zeit in die Aufbereitung überregionaler Themen investiert, betreibt eine Fehlallokation an Ressourcen. Denn derartige Informationen erhalten Mediennutzer im Fernsehen, Radio oder Internet. Punkten können Regionalzeitungen mit regionalen Themen, die Mediennutzer anderweitig nicht finden. Internet-Statistiken belegen dies. Kritisch sind auch die in den vergangenen Jahren implementierten, häufig medienübergreifend agierenden investigativen Teams zu sehen. So ruhmreich und aufwändig die Panama-Papers, Liechtenstein- oder Luxemburg-Leaks recherchiert wurden - die Zeit hätte auch in investigative nationale oder regionale Geschichten gesteckt werden können. Die Panama-Papers heben das nationale und internationale Ansehen einer Zeitung - doch bei allem Streben nach investigativen Geschichten gerät mitunter das Interesse des Lesers aus dem Blick. Dieser hätte investigative Geschichten, die ihn unmittelbar oder die Region betreffen, in der er wohnt, wahrscheinlich eher goutiert als die große internationale Enthüllung. Personal- und zeitintensive investigative Recherche wird in ausgedünnten Redaktionen zulasten der täglichen Berichterstattung erkauft - Zeit und personelle Ressourcen, die in Leuchtturmprojekte investiert werden, fehlen im redaktionellen Alltag.

kress.de: In der "nervösen" Medienkritik - gibt es jenseits aller Abwehr der Kritik - eine sehr weitgehende Übereinstimmung: die Kritik an zu viel Mainstream in der Berichterstattung, an dem Sog der großen Übereinstimmung von Journalisten. Schränkt der diagnostizierte Mainstream die Pressefreiheit ein?

Barbara Brandstetter: Die von einigen Medienkritikern diagnostizierte Gleichförmigkeit existiert in der Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland tatsächlich. Viele Journalisten unterwerfen sich gewollt oder unbewusst einer vorherrschenden Meinung, Lesart oder Interpretation. Im Wirtschaftsjournalismus dominierte etwa bis zum Ausbruch der Finanzkrise in zahlreichen Redaktionen die neoliberale Denkschule. Mehr Markt, weniger Staat lautete die Formel, der das Gros der Redaktionen folgte. Das Treiben an den ursprünglich von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher entfesselten Finanzmärkten wurde allenfalls vereinzelt in Frage gestellt. So zeigt Anya Schiffrin in ihrer Analyse zur Berichterstattung zur Finanzkrise, dass der Stellenabbau in den Redaktionen und die Angst, sich in dieser Situation der vorherrschenden Meinung entgegenzustellen, dazu geführt hat, dass Journalisten nicht nachhaltig genug vor der Krise warnten. Aktuelle Analysen beweisen, dass viele Medien in der Berichterstattung über den Grexit nicht ausgewogen berichteten. So stellen etwa Kim Otto und Andreas Köhler in ihrer Analyse der Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise in Tageszeitungen fest, dass über die Mitglieder der griechischen Regierung mehrheitlich negativ berichtet wurde. Es scheint, als stünde der Küchenzuruf in Print oder der Erzählsatz bei Fernsehbeiträgen bereits vor der Recherche fest.

kress.de: Die gewaltige Macht der PR-Pressestellen, Content Marketing, Anzeigen-Abhängigkeit sowie vielfältige Kooperationen über Konferenzen und Kongresse etc: wirkt sich diese Tendenz auf das Niveau der Pressefreiheit aus?

Barbara Brandstetter: Pressestellen sind heute besser ausgerüstet und professioneller geführt als noch eine Generation zuvor. Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl prognostizierte bereits Mitte der 90er Jahre eine Abrüstungsspirale im Journalismus und eine Aufrüstungsspirale in der PR. Seine Prognose ist Wirklichkeit geworden. Deutlich wird dies etwa in der Verbraucherberichterstattung in Regionalzeitungen. Melanie Kamann und Irene Neverla wiesen schon 2007 in einer Studie nach, dass viele Redaktionen nicht über ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen für eigene Nutzwertartikel verfügen. Man darf davon ausgehen, dass sich die Situation unter den Sparanstrengungen der Verlage verschlechtert hat. In diese Lücke stoßen seit einigen Jahren PR-Firmen: Sie liefern Verbrauchertexte, Foto-, Grafik- oder Footage-Material inklusive. Telefonaktionen werden oft von Agenturen organisiert mit entsprechender Vor- und Nachberichterstattung. Bezahlt wird der Service von Unternehmen oder Verbänden. Auch das verbreitete Vorgehen der Pressestellen, den Redaktionen Kronzeugen und Zitatspender zu vermitteln, begünstigt das Einsickern von PR und Propaganda. 
Die gewachsene Macht der Pressestellen und sklerotische Redaktionen sind eine unvorteilhafte Kombination für die Pressefreiheit. Eine weitere Angriffsfläche bildet die steigende Zahl an Kooperationen. Auf der Suche nach neuen Umsatzerlösen veranstalten immer mehr Verlagshäuser Konferenzen und Kongresse. Kooperationspartner sind dabei Unternehmen und Verbände, die die Veranstaltung finanziell unterstützen, Keynote-Speaker stellen und ihr Personal entsenden. Nun kann man schon fragen, wie kritisch über ein Unternehmen berichtet wird, das die Finanzierung des nächsten Events übernimmt. Wie in anderen Feldern des Qualitätsjournalismus ist in diesen Fällen ein Höchstmaß an Transparenz unabdingbar. Daran mangelt es aktuell. Welche Institutionen, Unternehmen oder Verbände finanzieren Kongresse oder Veranstaltungen? Streng genommen müssten die Mediennutzer über die Verquickung der Interessen unter jedem Artikel, der sich einem der Geldgeber widmet, informiert werden. Ähnlich wie dies häufig in der Reiseberichterstattung praktiziert wird.

kress.de: Gabor Steingart hat in einer harten Analyse von Mitarbeitern die zu große Nähe - etwa zu Wirtschaftsmanagern - in der Berichterstattung kritisiert. Jürgen Leinemann sprach oft von der größten Korruptionsgefahr von Journalisten durch "zu große Nähe" zu Informanten. Sehen Sie auch diese "Nähe" als Problem der Pressefreiheit?

Barbara Brandstetter: Zu große Nähe zu den Quellen ist ein fortdauerndes Problem für die Pressefreiheit. Viele Wirtschaftsjournalisten neigen dazu, sich unkritisch dem Gegenstand ihrer Berichterstattung zu widmen oder im Laufe der Zeit die Distanz zu verlieren. Die zu große Nähe zu Informanten wurde dem Wirtschaftsjournalismus in jüngster Zeit mehrfach zum Verhängnis. Beispiel eins: Der Aktienboom Ende der 90er Jahre. Damals überboten sich Anlegermagazine und Zeitungen darin, die besten Aktientipps zu veröffentlichen. Selbst die "Bild"-Zeitung empfahl auf ihrer Titelseite Aktien zum Kauf. Tipps von Analysten und Fondsmanagern wurden de facto ungefiltert weitergegeben. Kritische Stimmen, dass ein Platzen der Aktienblase bevorstehen könnte, wurden de facto nicht gehört. Anleger verloren viel Geld und das Vertrauen in Anlegermagazine. Beispiel 2: Die Finanzkrise. Kaum ein Journalist erkannte die Immobilienblase, die letztendlich zur Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und der Finanzkrise 2008 führte. Als einen relevanten Grund für das Versagen der Wirtschaftspresse nennen zahlreiche Wissenschaftler eine zu große Nähe zu den Quellen. So wurde den Aussagen liberaler Ökonomen und Marktakteuren häufig allzu blind vertraut. Dean Starkman etwa kommt nach einer umfassenden Analyse von neun einflussreichen Wirtschaftsmedien (unter anderem "Wall Street Journal", "Financial Times", "Fortune", "New York Times") von Anfang 2000 bis Mitte 2007 zum Ergebnis, dass 730 Beiträge vor der Krise gewarnt hätten. Diese seien jedoch in der Flut der Berichterstattung untergegangen. In dem untersuchten Zeitraum habe allein das Wall Street Journal 220.000 Artikel veröffentlicht.

kress.de: Behörden und Unternehmen "mauern" oft, zumal wenn es um heikle Informationen geht. Sie verweigern Interviews - oder überlassen nur ein meist wenig aussagekräftiges Statement. Ist das aus Ihrer Sicht eine Einschränkung der Pressefreiheit?

Barbara Brandstetter: Das "Mauern" von Pressestellen erschwert die Arbeit von Journalisten. Von einer Einschränkung der Pressefreiheit kann bei einem solchen Gebaren allerdings keine Rede sein. Dass insbesondere mittelständische Unternehmen in Deutschland, die nicht der Publizitätspflicht unterliegen, schweigsam in Bezug auf ihre Zahlen sind, ist weder neu noch empörend. Warum sollte ein Unternehmen, das wenig Positives zu berichten hat, Journalisten beim Aufdecken von Skandalen unterstützen? Im Internet lassen sich heute zahlreiche Fakten zusammentragen - Recherche geht bequemer und schneller als noch in Zeiten ohne Internet. Zudem bieten nach meiner Beobachtung mehr Unternehmen eine Anlaufstelle für Journalisten. Man denke an einst abgeschottete Firmen wie Aldi. Und verweigerte Stellungnahmen oder Stanzen sprechen für sich, sportlicher Ehrgeiz und detektivischer Spürsinn sind gefragt.

Die Fragen an Barbara Brandstetter, Professorin für Wirtschaftsjournalismus an der Hochschule Neu-Ulm, stellte kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Hinweis: Dieser Beitrag ist Teil der großen KRESS-Reihe zum Thema Pressefreiheit.

Ihre Kommentare
Kopf
Inhalt konnte nicht geladen werden.