Kulturradio-Leiterin Verena Keysers: "Kritik in allen Formen ist das, was bei uns am meisten ankommt"

09.12.2016
 

Beim Kulturradio des RBB werden klassische Musik und gehobene Wortbeiträge großgeschrieben. Das hohe Durchschnittsalter der Hörerschaft sehen die zwei Chefinnen Verena Keysers und Claudia Ingenhoven nicht als Nachteil. kress.de-Autor Armin Fuhrer sprach mit beiden über Herausforderungen und Chancen eines modernen Kultursenders.

Wenn Berliner Kulturfreunde das Kulturradio des RBB hören, können sie sicher sein: die letzte Entscheidung über das Programm liegt fest in Frauenhand. Gerade erst hat Verena Keysers am 1. September als neue Programmchefin die Leitung übernommen - zumindest zu 75 Prozent. Denn sie teilt sich den Job mit Claudia Ingenhoven, der langjährigen Wortchefin, die zusätzlich zu einem Viertel auch die Leitung des Senders übernommen hat.

Die Themenbeiträge sind anspruchsvoll, die Musik beschränkt sich tagsüber ausschließlich auf Klassik - und trotzdem sieht Ingenhoven in ihrem Sender ein Begleitprogramm, das den Hörer durch den Tag geleitet. "Als Kulturradio aus verschiedenen Sendern gegründet wurde, war der Aufschrei groß: Ein Begleitprogramm!", sagt sie. Doch die Kritik habe sich längst gelegt, die Kritiker hätten sich überzeugen lassen, dass ein anspruchsvolles Programm dennoch möglich sei. Anders als bei den typischen Pop- und Oldiesendern werde man zudem als Hörer auch eingeladen, gezielt bei bestimmten Themen zuzuhören.

Kritik ist angesagt - in allen Formen

Das Wort ist wichtig bei Kulturradio. Der Anteil im Vergleich zur Musik beträgt etwa 40 Prozent. Die Themen sind breit gefächert und spiegeln sowohl Aktualität wider wie auch Fragen, die die Gesellschaft latent bewegen. "Kritik in allen Formen ist das, was bei uns am meisten ankommt", sagt Verena Keysers. Sei es die Theater-, die Oper-, Konzert-, oder Kinokritik, immer gehe es um Bewertung, Sortierung. Das laufe besonders gut während der morgendlichen Primetime, die bei Kulturradio zwischen 9 und 10 Uhr und damit eine bis zwei Stunden später liegt als bei den meisten anderen Sendern. "Und umso mehr unsere Hörer selbst im Berliner Kulturleben unterwegs sind, umso kritischer sind sie auch wiederum uns gegenüber", stellt die Programmchefin fest.

Die Hörer verlangen aber nach mehr. Auch Themen der Zeit sind beliebt. Keysers zählt einige auf: Wie leben Ältere und Jüngere zusammen? Welche neuen Formen des Wohnens gibt es? Welchen Umgang mit Geld haben wir? Welchen mit den sozialen Medien? "Im Prinzip geht es um Werte und Orientierung". Häufig gebe es Reaktionen aus der Hörerschaft und nicht selten werde ein komplettes Sendemanuskript nachgefragt. Immer präsent zu sein im unüberschaubaren Angebot des Berliner Kulturlebens und sich zugleich auch um tiefgründige Themen kümmern zu können, dafür benötigt man Personal. Insgesamt arbeiten 70 festangestellte Mitarbeiter beim Kulturradio, zusätzlich rund 80 freie Journalisten. "Von denen machen aber manche nur zwei oder drei Mal im Jahr eine große Sendung", so Ingenhoven.

"Klassik hören ist eine Frage der Lebensphase"

Ein wenig erstaunlich ist das schon, denn der durchschnittliche Hörer von Kulturradio ist 62 Jahre alt und verfügt damit eigentlich über ein gewisses Maß an Lebenserfahrung. An jüngere Hörer ist schwer heranzukommen, und unter "Nachwuchs" versteht man beim Sender Menschen zwischen 40 und 50. Ausgerechnet die Programmchefin Verena Keysers fällt mit ihren 39 Jahren aus dem Rahmen. Das hohe Durchschnittsalter macht sie aber keineswegs unruhig, sondern sie findet es ganz normal. "Die meisten jüngeren Leute hören eben keine Klassik, wenn sie es nicht von zu Hause mitbekommen haben". Das sei auch eine Frage der Lebensphase, der man sich gerade befinde. Junge Familien seien einfach oftmals mit der Doppelbelastung aus Kindern und Job zu eingespannt, um einen Sender mit klassischer Musik und anspruchsvollen Wortbeiträgen zu hören. "Das kommt später bei vielen, wenn mehr Ruhe ins Leben einkehrt".

Keysers, die früher unter anderem als persönliche Assistentin der RBB-Intendantin gearbeitet hat und sich nebenberuflich immer auch im kulturellen Leben Berlins tummelte, sieht durchaus einen Unterschied zwischen Wort und Musik: "Die Musik ist viel klassischer als die Wortbeiträge". Sie richteten sich auch an jüngere Leute als den Durchschnitthörer. Jüngere Musik dagegen schafft beim Kulturradio nur am Abend ist Programm - wobei Lady Gaga auch dann außen vor bleiben muss. In speziellen Sendungen öffnet sich der Sender aber anderen Musikrichtungen wie zum Beispiel dem Jazz. Tagsüber aber gehört der Äther der Klassik, wobei sinfonische Stücke oder Kammermusik im Vordergrund stehen. Die Oper ist nicht so gefragt.

Stolz sind die zwei Chefinnen auf den Bereich Hörspiel und Feature. Seit vielen Jahren produziert der Sender zusammen mit Hörbuchverlagen erfolgreiche Stücke, die auch regelmäßig mit Preisen belohnt werden. "Wir können als kleiner Sender in der Quantität nicht mit dem WDR oder dem Bayerischen Rundfunk mithalten", so Verena Keysers. "Aber unsere Qualität ist wirklich erstklassig", findet sie und ergänzt: "Als Neue bei Kulturradio darf ich das noch sagen, ohne dass es wie Selbstbeweihräucherung klingt". Dieser Erfolg ist durchaus bemerkenswert, denn noch vor zehn Jahren wurde eigentlich der Tod des Hörspiels vorhergesagt.

Bald Playlists wie bei Spotify?

Die Stärke im Textbereich macht Keysers und Ingenhoven, die den Sender seit seiner Gründung 2003 mit aufgebaut hat, optimistisch, dass das Kulturradio gute Zeiten vor sich hat. "Wir haben die Inhalte, aus denen wir zum Beispiel Podcasts machen können, und das wird immer wichtiger", so Keysers. Reagieren muss der Sender auf die Tatsache, dass on-demand-Angebote immer wichtiger werden. Das gelte auch für die Musik - so werde beispielsweise darüber nachgedacht, dem Hörer die Möglichkeit zu geben, wie beim Streamingdienst Spotify eigene Playlists zu erstellen.

Haben die beiden auch einen Wunsch an die Hörer von Kulturradio? Ja, sagt Verena Keysers. "Ich wünsche mir, dass unsere Hörer immer neugierig und aufgeschlossen bleiben".

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