Habermas zu Politikern und Journalisten: Gebt Rechtspopulisten keine Bühne!

 

"JOURNALISMUS!" Die Paul-Josef-Raue-Kolumne fragt: Wie sollen Journalisten mit Demagogen umgehen? Mit Pegida, Afd und all denen, die wir schwammig "Populisten" nennen, von welcher Seite auch immer? Draufhauen oder niedrig hängen? Der 87-jährige Philosoph Jürgen Habermas empfiehlt das Schweigen: "Nur die Dethematisierung könnte dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben."

Jürgen Habermas ist der einflussreichste Philosoph des Journalismus und der Medien. Noch vor der Studentenrevolte, vor den Achtundsechzigern, verfasst er, auf Marx berufend, seine Habilitations-Schrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit": Er schreibt darin die Geschichte des Kampfs der Bürger um  Freiheit und  Demokratie als ein Kampf um die Öffentlichkeit. Der Kampf war erfolgreich, als jeder mitsprechen durfte; aber er war weniger erfolgreich, weil nicht jeder mitsprechen konnte: Der Zugang zur Öffentlichkeit war begrenzt. Nur wer Druckmaschinen besaß und wer eine gute Bildung bekam, konnte öffentlich wirken.

"Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit", schreibt er im "Strukturwandel der Öffentlichkeit". Dank der digitalen Medien sind "besorgte Bürger", wie sie Habermas distanzierend nennt, nicht mehr ausgeschlossen, doch sie bedienen sich der neuen Freiheit nicht im Sinne der Aufklärung, sondern kehren sie gegen die Freiheit und werden für Habermas zum "Saatboden für einen neuen Faschismus".

In Jubiläums-Heft der "Blätter für deutsche und internationale Politik", vor sechzig Jahren gegründet, verdächtigt er etablierte Politiker wie Journalisten, "von Anfang an die falsche Richtung eingeschlagen" zu haben: "Der Fehler besteht darin, die Front anzuerkennen, die der Rechtspopulismus definiert: 'Wir' gegen das System." Wer mit Rechtspopulisten öffentlich debattiere, nehme ihn ernst, verschaffe ihm Aufmerksamkeit und mache den Gegner stärker - wie Justizminister Heiko Maas, der sich im Oktober mit Alexander Gauland von der AfD in einer ZDF-Talkshow duellierte.

Es sei Schuld der Medien, dass "nach einem Jahr nun jeder das gewollt ironische Grinsen von Frauke Petry kennt und das Gebaren des übrigen Führungspersonals dieser unsägliche Truppe". Rechtspopulismus verdiene Verachtung statt Aufmerksamkeit. Im Juli hatte Habermas schon in einem Interview mit der "Zeit" aus der "Perspektive eines teilnehmenden Zeitungslesers" die Anpassungsbereitschaft der Journalisten gegenüber Merkel und der Politik beklagt: "Der gedankliche Horizont schrumpft, wenn nicht mehr in Alternativen gedacht wird." Der Philosoph knüpft an seine Strukturwandel-Schrift von 1961 an und beklagt den Zerfall der Infrastruktur, ohne die eine politische Öffentlichkeit nicht funktionieren könne:

Medien wie Parteien informierten die Bürger nicht mehr "über relevante Fragen und elementare Tatsachen, also über die Grundlagen einer vernünftigen Urteilsbildung". Das Argument ist nicht weit entfernt von der Kritik bei den Pegida-Spaziergängen in Dresden.

Habermas bringt als weiteres Indiz für den Zerfall der Öffentlichkeit die Wahlmüdigkeit der jungen Leute. "Das klingt so, als sei wieder die Presse schuld", wirft der "Zeit"-Redakteur Thomas Assheuer ein. "Nein", zieht sich Habermas zurück, "aber das Verhalten dieser Altersgruppe wirft ein Schlaglicht auf die Mediennutzung jüngerer Leute im digitalen Zeitalter und auf den Wandel der Einstellung zu Politik überhaupt. Nach der Ideologie des Silicon Valley werden ja Markt und Technologie die Gesellschaft retten und so etwas Altmodisches wie Demokratie überflüssig machen."

Die Debatte, wie mit Demagogen umzugehen sei, ist kein Pegida- oder AfD-Phänomen, sie ist so alt wie unsere Demokratie. Sie drängte sich  Journalisten auf, als in den sechziger Jahren NPD und Republikaner in die Parlamente einzogen: In Baden-Württemberg beispielsweise bekam die NPD 1968 fast zehn Prozent der Stimmen; nach der Revolution in der DDR war es die DVU, die bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1998 fast dreizehn Prozent erhielt.

Funktioniert das Schweigen der Medien? 1989 hatten die Republikaner laut Umfragen kaum eine Chance, ins Abgeordnetenhaus von Berlin einzuziehen: Sie waren kein Thema in den Zeitungen und im Fernsehen. Das änderte sich, als die Partei einen TV-Spot gegen Ausländer drehte und ihn mit der Melodie von "Spiel mir das Lied vom Tode" unterlegte.

Der Sender Freies Berlin weigerte sich, den Spot zu senden; das Verwaltungsgericht sah wohl die Volkshetze, aber wies trotzdem den SFB an, das Machwerk auszustrahlen. Plötzlich waren die Republikaner in den Schlagzeilen und Kommentaren, zwar durchweg negativ, aber offenbar mobilisierend für knapp acht Prozent der Berliner, die zur Wahl gingen. Elf Republikaner zogen ins Parlament ein.

Schweigen und Niedrig-hängen funktionierte schon nicht in vor-digitalen Zeiten, erst recht nicht mehr im Zeitalter der sozialen Netze. Die Habermas-Forderung nach "Dethematisierung" dürfte in einer Lokalredaktion wie der Sächsischen Zeitung in Dresden kaum Verständnis finden. Wie sollen wir mit der Pegida-Kritik und dem Hass umgehen?, fragt sich die Redaktion schon seit Jahren.

Vor zwei Jahren nimmt Heinrich Maria Löbbers als Chefreporter der "Sächsischen Zeitung" in einem Beitrag für das "medium magazin" die Gegenposition zu Habermas ein: "Das Schweigen macht die Bewegung stark. Wer nicht mehr redet, meldet sich ab, nimmt anderen die Chance, zu verstehen."

Löbbers empfiehlt  eine Doppelstrategie: Ängste und Vorbehalte der Bürger thematisieren, aber auch Demagogie und Unfug benennen. "Wir erleben gerade die anstrengende Seite der Demokratie. Journalisten, die es gewohnt sind, die Welt zu erklären, finden keine Antwort auf diese Ohnmacht, die sich in Wut verwandelt. Stundenlang starren Kollegen fassungslos in die Abgründe der Facebook-Kommentare, wo sich die hässliche Seite von Pegida zeigt, während auf den Straßen friedlich marschiert wird. Hier blanker Hass, dort echte Sorgen. Es bleibt ein Spagat."

Nicht weit von Löbbers entfernt empfiehlt auch Habermas: "Die Bürger müssen erkennen können, dass jene sozialen und wirtschaftlichen Probleme angepackt werden, die die Verunsicherung, die Angst vor sozialem Abstieg und das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, verursachen." Pegida und Sympathisanten erobern sich in der Tat einen neuen Raum der Öffentlichkeit, um ihn gleichzeitig zu zerstören, indem sie das Gespräch verhindern und sich, nach feudalem Vorbild, als alleinige Besitzer der Wahrheit stilisieren.

Jürgen Habermas hat den Begriff der Bürgerzeitung nicht geprägt, aber schon früh gedacht. Nur wenige Jahre nach dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit" schrieben der Politiker Peter Glotz und der Kommunikations-Professor Wolfgang Langenbucher "Der missachtete Leser": "Aufklärung schafft man nicht, indem man über die Massen hinwegmonologisiert"; der politischen Bildner Dieter Golombek schuf mit ihnen das Lokaljournalisten-Programm und verschaffte Geltung dem damals nur belächelten Lokaljournalismus - als Garanten der Demokratie, wenn er mehr sein will als ein Honoratioren-Medium.

Nirgends kann sich der Bürger über seine Dinge besser verständigen, kann mitsprechen und Öffentlichkeit gewinnen - und lernen, dass jeder, der wirken will, seine Argumente auch begründen muss. Das ist die Voraussetzung einer demokratischen Öffentlichkeit: Ich will mitreden, aber ich bin nicht das Volk und muss Verbündete suchen mit Überzeugung und Respekt.

Hintergrund

Das Habermas-Interview ist ebenso wie der Löbbers-Artikel nicht online zu lesen. Habermas' Beitrag erschien in der November-Ausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik"; der Löbbers-Artikel  im "medium magazin" 01/2015.

Habermas Klassiker "Strukturwandel der Öffentlichkeit" ist als Suhrkamp-Taschenbuch erhältlich.

"Der mißachtete Leser" von 1969 ist nur antiquarisch zu erwerben ebenso wie der unveränderte Nachdruck von 1993.

Über den Autor

Paul-Josef Raue (66) stritt schon in den achtziger Jahren mit Udo Heinze von der "WAZ" heftig auf einem Forum des Lokaljournalistenprogramms über den rechten Umgang mi rechten Demagogen: Draufschlagen oder niedrig hängen. Raue wollte niedrig hängen.

Heute berät Raue Verlage, Redaktionen und speziell Lokalredaktionen. Er war 35 Jahre lang Chefredakteur, zuletzt in Thüringen, davor in Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main und Marburg. Er gründete in der DDR-Revolution mit der "Eisenacher Presse" die erste deutsch- deutsche Zeitung. Zusammen mit Wolf Schneider gibt er das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus, das seit zwanzig Jahren, immer wieder überarbeitet, im Rowohlt-Verlag erscheint. Auf kress.de erschien die 20-teilige Serie "Journalismus der Zukunft". Sein Blog mit weit über tausend Einträgen: www.journalismus-handbuch.de

Ihre Kommentare
Kopf

Paul Kleiber

13.12.2016
!

Habermas ist ein alter Mann - und ein Kind seiner Zeit. Deshalb erkennt er aktuell auch nicht den Strukturwandel der Medien. Heute ist der Bürger nicht mehr passiver Informationsempfänger von Print, Funk & Fernsehen - sondern wird selbst per twitter, facebook & Co. zum Sender. Wenn die "Mainstreammedien" etwas verschweigen bahnt es sich umso heftiger den Weg durch die sozialen Medien oder alternative Medien (Breitbart). Sorry Habermas - das nicht zu wissen sei Ihnen verziehen...


Enrico Stiller

16.12.2016
!

Was Habermas da fordert, ist erschreckend. Demagogie und Hass scheint es für den Linken Habermas nur beim politischen Gegner zu geben, nicht auf der eigenen, linken Seite. Man muss die Realität schon mit sehr dichten einseitigen Scheuklappen verfolgen, um das so zu sehen. Wer bestimmt, was Hass, Demagogie und Populismus ist? Brauchen wir ein Wahrheitsministerium à la Orwell? Oder haben wir schon eins, mit Maas an der Spitze? Solche Leute gefährden die Demokratie, nicht vereinzelte Hetzer.


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