Phoenix-Reporter Boris Barschow über seine Türkei-Reise: "Wer nach der Pressefreiheit fragt, dem tritt man sehr nahe"

 

Genau ein Jahr nach dem Flüchtlingsdeal zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan strahlt Phoenix am 6. März einen Themenabend dazu aus. Den Auftakt bildet die 45-minütige Reportage "Türkische Befindlichkeiten? Zwischen Visafreiheit und Flüchtlingsdeal". Kress.de hat sich den ausgewogenen Beitrag vorab angeschaut und mit Autor Boris Barschow gesprochen. Der 49-jährige Leiter der "Dossier-Gruppe" gehörte einer Delegation an, die die Türkei auf Einladung einer regierungsnahen Organisation bereiste.

kress.de: Sie haben an einer Pressereise der Erdogan-nahen Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) in die Türkei teilgenommen. Wie unabhängig konnten Sie sich vor Ort informieren?

Boris Barschow: Unabhängigkeit ist ja ein dehnbarer Begriff. Wir reisten vier Tage im Rahmen eines enggestrickten Programmes durch das Land. Wenn Sie unabhängig so definieren, dass es möglich war, eigene Interviewpartner zu sprechen, dann nicht. Insgesamt öffneten uns die UETD-Leute aber viele Türen, wir wurden gut betreut und erfuhren die offizielle türkische Sicht der Dinge.

kress.de: Der Vertreter der UETD meint in Ihrer Sendung, es gebe in der Türkei weiterhin ernsthafte oppositionelle TV-Kanäle. Geschlossen worden seien nur Sender der "Terrororganisation" von Prediger Gülen. Dagegen sagt der Ex-Chefredakteur von Cumhurriyet, Can Dündar, die Türkei sei das "weltweit größte Gefängnis für Journalisten". Wer hat Recht?

Boris Barschow: Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Jeder hat sicher auf seine Weise Recht. Dündar wurde strafrechtlich verfolgt, auf ihn wurde sogar geschossen, und er musste das Land verlassen. Was der UETD-Sprecher sagt, kann ich nicht nachrecherchieren. Ich weiß nicht, ob die verbliebenen nicht-regierungstreuen Sender noch die Freiheit besitzen, unabhängig und kritisch zu berichten. Was wir lesen, ist, dass immer mehr Kollegen verhaftet werden.

kress.de: Die EU behauptet, die Türkei würde ihre Anti-Terror-Gesetze auch auf kritische Journalisten anwenden. Können Sie einschätzen, ob dieser Vorwurf zutrifft?  

Boris Barschow: Nein, das kann ich nicht einschätzen.

kress.de: Wie war denn Ihr Eindruck vor Ort?  

Boris Barschow: Vor Ort sind wir überhaupt nicht auf kritische Journalisten gestoßen. Wir wurden durch das Staatsfernsehen geführt, und uns wurde die Moderatorin vorgestellt, die in jener Nacht gezwungen wurde, die Erklärung der Putschisten zu verlesen. In anderthalb Stunden wurde uns dargelegt, wie schrecklich das alles war. Als ein Kollege nach der Pressefreiheit fragte, ist - sagen wir mal so - man unserer Gruppe sehr nahegetreten. Die Botschaft lautete, bevor wir eine solche Frage stellten, sollten wir erst einmal unser Beileid bekunden. Es hatte auch schon ein Geschmäckle, wie die Moderatorin sagte, dass das türkische Volk "wie eine Hand" den Putsch zurückgeschlagen habe. Selbst wenn man Teil einer Sache wird, sollte man sich doch nicht so mit ihr gemein machen.

kress.de: Ein AKP-Landrat sagt in Ihrer Sendung ganz offen, dass die Türkei den von Angela Merkel ausgehandelten Flüchtlingsdeal brechen werde, sollte es keine Visa-Freiheit für die Türken geben. Ein anderer AKP-Politiker beschwichtigt, man wolle die Flüchtlinge nicht als Trumpf ausspielen. Was ist denn nun die offizielle Linie?

Boris Barschow: Als ich mich direkt vor Ort mit den Politikern unterhalten habe, bekam ich doch schon einen anderen Eindruck. Es hatte nicht so viel zu tun mit dem, was ich in deutschen Medien las. Der Außenminister und auch der Ministerpräsident, die wir beide trafen, verwiesen auf den Staatspräsidenten. Solche grundsätzlichen Fragen überlässt man offenbar Erdogan.

kress.de: Sie haben den Film ja bereits im September gedreht.

Boris Barschow: Richtig, die O-Töne stammen von damals. In der Zwischenzeit ist einiges passiert: Erdogan hat gedroht, die drei Millionen Flüchtlinge rauszulassen, und das EU-Parlament hat für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestimmt. Inwiefern Visa-Freiheit und Flüchtlingsdeal gegeneinander ausgespielt werden, weiß nur Erdogan.

kress.de: Man sieht in Ihrem Beitrag syrische Flüchtlinge in den türkischen Lagern arbeiten. Sie knüpfen Teppiche, die auf den umliegenden Basaren verkauft werden. Wäre das in Deutschland vorstellbar? Käme nicht gleich das Wort von der "Zwangsarbeit"?

Boris Barschow: Ach, das möchte ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass ich, wenn ich syrischer Flüchtling wäre, mich auch darüber freuen würde, zu arbeiten und mir nebenbei etwas zu verdienen. Allerdings wissen wir nicht, was diese Menschen bekommen, wieviel sie behalten dürfen und wer davon noch etwas abbekommt. Übrigens leben nur 20 Prozent der Flüchtlinge in solchen Lagern, der Rest auf der Straße. Uns wurde aber auch immer wieder erzählt, dass sich reiche Syrer zum Beispiel mit dem Eröffnen von Restaurants selbständig gemacht haben und so das türkische Bruttosozialprodukt erhöhen.

kress.de: Vor Ihrer Kamera müssen Flüchtlingskinder - eingepeitscht von Lehrern - immer wieder "Erdogan, Erdogan" skandieren. Warum schätzen die Verantwortlichen solche Aktionen in ihrer Wirkung auf deutsche Journalisten so völlig falsch ein?

Boris Barschow: Was soll ich sagen? Das war nicht nachvollziehbar. Ich war extrem baff. Die Lehrer, die die Kinder zu diesen Sprechchören animierten, waren übrigens Syrer, erzählten uns die UETD-Vertreter hinterher. Außerdem seien sie für dieses Verhalten nicht verantwortlich, sondern sie hätten uns nur die Tür geöffnet.

kress.de: Insgesamt sieht in dem Lager alles sehr sauber und aufgeräumt aus, fast wie in einem Werbefilm. Ist das immer so? Oder haben Sie den Eindruck, dass dies für Ihren Besuch so hergerichtet wurde?

Boris Barschow: Sind wir doch mal ehrlich: Wenn ich weiß, dass Presseleute kommen, da gebe ich den Mädchen vielleicht auch Barbie-Puppen, lass eine Tanzgruppe zur Begrüßung auftreten, räume alles auf und mache alles sauber. Das machen wir zuhause doch auch so, wenn wir Besuch erwarten. Also: Vielleicht war da vieles inszeniert, aber warum sollen wir das den Verantwortlichen unter die Nase reiben?

kress.de: Ihnen wurde auch das in der Putschnacht zerstörte Parlamentsgebäude gezeigt, als eine Art Fanal. Der Angriff gab Erdogan die Möglichkeit, Oppositionelle und Journalisten zu verhaften. Halten Sie es für möglich, dass der Militärputsch von Erdogan inszeniert war?

Boris Barschow: Keine Ahnung. Das weiß ich nicht.

kress.de: Was sagt denn Ihr journalistisches Gespür?

Boris Barschow: Die Türkei fordert sehr oft Transparenz - gerade von westlichen Journalisten. Dann kann ich hier nur sagen: Seid doch bitte selbst transparent und veröffentlicht die Dokumente gegen Gülen. Ansonsten muss ich mit der Unschuldsvermutung kontern. Der Mann gilt solange nicht als Putschist, wie die Türkei nicht das Gegenteil nachweist. Wenn die Schuld so eindeutig ist, wie die Türkei vorgibt, dann kann sie doch die Beweise veröffentlichen. Aber bis heute gibt es nichts, was wir einsehen können. Zurück zu Ihrer Frage: Kein Journalist der Welt kann das einschätzen. Es geht nur um Glauben. Entweder wir glauben das oder nicht. Dazwischen gibt es nichts.

kress.de: Die Gülen-Bewegung gibt es doch schon sehr lange.

Boris Barschow: Ja, genauso haben dann auch unsere Gesprächspartner argumentiert. Seit 30 Jahren versuche der Prediger die Gesellschaft zu unterwandern. Da fragt man sich natürlich, warum die Türkei nicht schon vorher dagegen eingeschritten ist. Aber solche Fragen konnten wir nicht stellen.

kress.de: Ihre Delegation traf auch Ministerpräsident Binali Yildirim. Kameras waren nicht gestattet, Interviews auch nicht - nicht einmal Nachfragen. Welchen Sinn hatte dann dieses Treffen?

Boris Barschow: Zwei, drei Nachfragen durften wir schon stellen. Aber letztlich liefen alle Besuche - ob beim Ministerpräsidenten oder beim Außenminister - gleich. Es begann mit einem sehr langen Monolog. Und wer probierte, eine Nachfrage zu stellen, wurde belanglos abmoderiert. Allerdings gibt es auch die Anekdote, dass uns Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erzählte, seine Frau habe ihm gedroht, ihn nach 20 Jahren zu verlassen, wenn er nicht für die Todesstrafe votiere. Dann habe er sie in einem Urlaub wieder einigermaßen umgestimmt. Aber Nachfragen, über die wir uns beide gerade hier unterhalten, waren nicht möglich.

kress.de: Wie schätzen Sie Yildirim ein? Ist er mehr als eine Marionette Erdogans?

Boris Barschow: Manchmal habe ich mich gefragt, wie hätte Erdogan als Ministerpräsident mit uns geredet. Mein Eindruck war, wir sprechen mit dem letzten Ministerpräsidenten der Türkei. Ob er eine Marionette ist? Wissen Sie, wenn es ans Eingemachte ging, hieß es, da müssen Sie den Staatspräsidenten fragen. Wie in so vielen anderen Fragen, blieb uns auch hier nur die Spekulation.

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