Michael Steinbrecher: "Was spricht gegen die Trennung von Meinung und Bericht?"

 

Der Fernsehmoderator und Journalistik-Professor Michael Steinbrecher hat gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Günther Rager einen Sammelband veröffentlicht, der sich der aktuellen Diskussion um den Journalismus widmet. Junge Journalisten, die Steinbrecher mit ausgebildet hat, kommen darin zu Wort. Der 51-Jährige kritisiert im kress.de-Interview, dass nicht jede relevante Meinung in den Medien abgebildet worden sei und dass sich dadurch Konsumenten "nicht gehört und in die falsche Ecke gestellt" fühlten. Das Buch "Meinung - Macht - Manipulation" erscheint heute.

kress.de: In Ihrem Buch kommen junge Journalisten zu Wort, die sich mit der Ethik und dem Berufsverständnis beschäftigen. Wie gehen diese Job-Einsteiger mit der um sich greifenden, zum Teil heftigen und auch unberechtigten Medienkritik um? Nagt das am Selbstverständnis, vielleicht sogar am Selbstbewusstsein?

Michael Steinbrecher: Sie haben Recht, das geht leider an den jungen Journalistinnen und Journalisten nicht spurlos vorbei. Eine gewisse Verunsicherung ist zu spüren. Das betrifft sowohl den unsicheren Arbeitsmarkt, in den sie hineinwachsen, als auch die massive Medienkritik. Und diese Kritik ist ja auch im Mainstream angekommen. Der Wind bläst ihnen mächtig ins Gesicht.

kress.de: So schlimm?

Michael Steinbrecher: Moment, ich wollte noch zu den positiven Dingen kommen. Denn andererseits ist auch eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Die jungen Kollegen leben in einer Zeit, in der sie viel ausgestalten, in der sie ausgetretene Pfade verlassen können. Und ich merke, wie sie sich über ihr Rollenverständnis Gedanken machen. Es sind viele Idealisten dabei, die ihren Beruf lieben und sich nicht vom Gegenwind erdrücken lassen.

kress.de: Einige der Studien-Absolventen, die ja schon über Berufserfahrung verfügen, erkennen Gründe für eine Glaubwürdigkeitskrise. Wie wollen diese Kollegen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen? Wir könnten nicht "schulterzuckend einfach weitermachen", schreiben Sie ja selbst.

Michael Steinbrecher: Das erste Schlüsselwort lautet Transparenz. Sie wollen Offenheit zeigen gegenüber ihrem Publikum. Dazu gehört auch ein offener Umgang mit ihren Fehlern. Das zweite Schlüsselwort heißt Dialog. Sie möchten das Gespräch mit den Kritikern aufnehmen. Ihnen ist klar, dass Journalismus keine Einbahnstraße mehr ist.

kress.de: Wie passt diese Dialogbereitschaft zum Fall der "Neuen Zürcher Zeitung", die die Kommentarfunktion gerade aktuell stark eingeschränkt hat?

Michael Steinbrecher: Bei Kommentaren ist immer die Frage, wie man sie moderiert. Auch andere Zeitungen haben schon beschlossen, die Kommentarfunktion bei speziellen Themen oder grundsätzlich zu schließen. Das liegt auch daran, dass viele Sachverhalte, die in den Kommentaren geäußert werden, nicht so schnell überprüft werden können. Hinzu kommen das Thema Beleidigung und die Frage, wie Meinung über Social Bots gemacht wird. Wir sehen daran, dass die digitale Transformation viele neue Themen schafft.

kress.de: Wie wird, fragen Sie rhetorisch in Ihrem Vorwort, guter Journalismus finanziert, wenn weite Teile des Publikums nicht bereit sind, angemessen dafür zu bezahlen? Ihre Antwort auf diese zukunftsträchtige Frage?

Michael Steinbrecher: Darauf hat leider noch niemand eine Antwort gefunden - weder in Deutschland noch international. Lassen Sie mich aber ein positives Beispiel nennen: Die Web-Abos der "New York Times" sind im vierten Quartal massiv angestiegen. Das zeigt den Trend, dass die Bereitschaft, für qualitativ guten Journalismus zu bezahlen, langsam aber stetig steigt.

kress.de: Zurecht schreiben Sie: "Journalismus, der umfangreich und sachlich korrekt informiert, der meinungsstark kommentiert, ist notwendiger denn je". Erleben wir aber nicht derzeit vielfach eine Vermischung von beidem? Ist diese Art von Journalismus wirklich nötiger denn je? Oder sollten wir zurück zur Trennung von Meinung und Bericht?

Michael Steinbrecher: Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Aspekt an, zu dem es spannende, neue Erkenntnisse gibt. Wissenschaftler der Universität Mainz haben das näher untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass genau der Punkt, den Sie meinen, das Vermischen von sachlicher Darstellung und wertenden Kommentaren, einer der Vorwürfe ist, der den Medien gemacht wird. Und das führt mich zu der Frage: Was spricht gegen diese Trennung von Meinung und Bericht? Oder was spricht dagegen, eine Kontraposition fair darzustellen? Diese Kritik sollten wir Journalisten uns wirklich zu Herzen nehmen. Denn dafür haben wir doch die unterschiedlichen Darstellungsformen.

kress.de: Den Begriff "Lügenpresse" erwähnen Sie allein im Vorwort rund 20 Mal, und Sie beschreiben, wie er von vielen, die nicht Pegida zuzurechnen seien, auch in ihrem privaten Umfeld, benutzt werde. Sie lehnen das Wort als diffamierend ab, aber inwiefern ist Medienkritik heute berechtigter als vielleicht vor 20 Jahren?

Michael Steinbrecher: Mir ist es wichtig, zwischen Medienkritik und Mediendiffamierung zu unterscheiden. Medienkritik ist immer berechtigt - genau wie vor 20 Jahren. Wer aber Journalisten diffamiert und ihnen unterstellt, absichtlich zu lügen, der ist nicht an einem sachlichen Dialog interessiert, sondern möchte Medien nur diskreditieren. Die Studierenden legen in dem Buch auch dar, dass der Begriff "Lügenpresse" in der Vergangenheit immer ein Propaganda-Instrument war.

kress.de: Und ist Medienkritik nun berechtigter als vor zwei Jahrzehnten?

Michael Steinbrecher: Viele vergessen, dass wir auch schon vor 20 bis 30 Jahren heftig über Medien diskutiert haben. Denken Sie an die Berichterstattung über das Gladbecker Geiseldrama 1988 oder an den ersten Golf-Krieg Anfang der 1990er Jahre. Viele Sender haben damals kritiklos die Bilder und Darstellungen des US-Verteidigungsministeriums übernommen. Wir haben aus dieser Kritik gelernt. Das hat den Journalismus weitergebracht. Allerdings ist die Kritik heute tiefgreifender. Denn dass Journalismus grundsätzlich in Frage gestellt wird, bedeutet eine neue Dimension.

kress.de: Ihr Autor Julian Beyer bemängelt, dass berechtigte Medienkritik oft nur aus dem Internet komme und Selbstkritik meist erst nach diesen gerechtfertigten Einwänden einsetze. Die Kritik an journalistischen Fehlleistungen in den Medien sei "weichgespült". Hat er Recht?

Michael Steinbrecher: Kritik beispielsweise an einzelnen Fernsehsendungen kommt oft nicht gerade weichgespült daher. Julian Beyer hat trotzdem Recht, denn eine Vielzahl von Medien hat Medienkritik deutlich zurückgefahren. Medienseiten wurden abgeschafft. Und Ombudsmänner und Ombudsfrauen, wie wir sie zum Beispiel in schwedischen und amerikanischen Medien finden, die sich mit ernsthafter und berechtigter Kritik auseinandersetzen, hatten wir in Deutschland lange fast überhaupt nicht. Es gibt "Zapp" im NDR, es gibt "Übermedien" von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz. Aber insgesamt brauchen wir auf jeden Fall viel mehr öffentliche Medienkritik.

kress.de: Die konsensorientierte Debattenkultur, die von der Politik in die Medien geschwappt sei, thematisieren Sie auch. Ist die Angst im Journalismus zu groß, Extremisten das Wort zu reden, wenn Themen wie Zuwanderung, Obergrenze, Euro oder Brexit auch alternativ kommentiert werden?

Michael Steinbrecher: Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger hat dazu in seinem Buch "Mainstream" sehr Lesenswertes geschrieben. Es gibt demnach durchaus immer wieder kritische und abweichende Meinungen in den Leitmedien. Aber sie haben, so wörtlich, "keinen Einfluss auf die Folgeberichterstattung und die von Tag zu Tag fortgesetzte Erzählung der Geschehnisse in den Hauptnachrichtensendungen und großen Zeitungen". In diesem Zusammenhang gibt es auch vermehrt Selbstkritik. Der "Zeit"-Redakteur Stephan Lebert hat selbstkritisch die Entwicklung des Journalismus reflektiert und gesagt, "man wollte sich zur Elite zugehörig fühlen, man wollte sie nicht mehr kontrollieren". Fairerweise muss man dagegenhalten: Es gab immer investigativen Journalismus. Kritische TV-Magazine, gut recherchierte Geschichten in vielen Medien. Aber ich glaube, dass auch in der Breite eine gewisse Umkehr bemerkbar ist. Das sieht übrigens auch Lebert so, der sogar einen Boom des investigativen Journalismus konstatiert. Unsere Aufgabe, die Kontrolle, wird jetzt wieder leidenschaftlicher wahrgenommen. Das merke ich auch bei unseren Studierenden.

kress.de: Sie werfen auch die Frage nach der Überheblichkeit auf, ob nur wir "die Guten" sind, die wir zu bestimmten Themen liberale Positionen vertreten. Und ob wir die anderen nicht zu schnell als "reaktionär" oder gar als "Nazis" betrachten. Tun wir das?

Michael Steinbrecher: Lassen Sie es mich so sagen: Leider sind in den vergangenen beiden Jahren im Journalismus nicht durchweg alle relevanten Meinungen angemessen zu Wort gekommen. Dadurch entsteht bei nicht wenigen Zuschauern, Lesern, Usern das Gefühl, nicht gehört und in die falsche Ecke gestellt zu werden. Sie fühlen sich ausgegrenzt, und dann vertrauen sie den Medien nicht mehr. Zuletzt allerdings wird wieder vermehrt darauf geachtet, dass vielfältiger berichtet wird. Das ist in vielen Sendern und Medien erkennbar. Wir leiden ja unter dem Problem, dass wir alle ähnlich sozialisiert sind und dadurch auf manche Themen affiner reagieren. Zunehmend wird in den Redaktionen jedoch diskutiert, ob sie wirklich alle relevanten Themen abbilden.

kress.de: Sind nun nur wir "die Guten"?

Michael Steinbrecher: Der Buchtitel von Mathias Bröckers und Paul Schreyer "Wir sind die Guten" hat uns auf diese Formulierung gebracht. Die Frage ist doch, ob wir unsere westlichen Werte als die ausschließlich geltenden betrachten sollten. Ein Beispiel: Wir lehnen die Todesstrafe aus guten Gründen ab. Aber gehen wir nicht mit den USA, die sie vollstreckt, ganz anders um, als mit der Türkei, die über deren Einführung diskutiert? Auch darauf finden die Studierenden in dem Buch gute Antworten.

kress.de: Eine von ihnen, die Autorin Jana Fischer, stellt sich der Frage, ob "Haltung" überbewertet werde. Oft werde nicht mehr die informierende, journalistische Arbeit mit Preisen ausgezeichnet, sondern die "Haltung". Wie ist Ihre Meinung dazu?

Michael Steinbrecher: Das ist eine wirklich gute, aber auch schwierige Frage. Nach meinen Beobachtungen wird von den Journalisten immer häufiger "Haltung" gefordert. Aber was ist eigentlich damit gemeint? Die "richtige" Haltung natürlich. Aber auch Verfassungsfeinde zeigen Haltung. Und wie verhält sich diese Forderung nach Haltung zu dem bisher anerkannten Grundsatz von Hanns Joachim Friedrichs, sich mit keiner Sache, auch nicht mit einer guten, gemein zu machen?  Diese Fragen erörtert Jana Fischer in ihrem Essay.

kress.de: Ein anderes Thema in dem Buch ist die Facebook-Zange. Einerseits strebt jedes Medium nach einer geeigneten Social-Media-Strategie, um diesen Kanal zu bespielen und Leser zu erreichen. Damit stärkt man andererseits ein Netzwerk, in dem viele "Fake News" auftauchen. Wie sollte die Branche mit diesem Spannungsfeld umgehen?

Michael Steinbrecher: Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Darum wird es auch im nächsten Buch mit unseren Studierenden gehen. Zu Ihrer Frage: Einerseits verstehe ich jedes Medienunternehmen, das auf Facebook präsent sein will. Denn gewisse Zielgruppen erreicht man nur noch über soziale Netzwerke. Viele junge Menschen verstehen das Prinzip eines Zeitungs-Abonnements nicht mehr. Sie meinen, dass es ausreicht, sich in Sozialen Netzwerken zu informieren. Sie trennen nicht mehr zwischen klassischem Journalismus und den Angeboten zum Beispiel von Facebook. Und daher ist die Präsenz klassischer journalistischer Angebote auf Facebook zwiespältig. Sie bedienen die Illusion, über Facebook alles Wichtige zu erfahren. Und der etablierte Journalismus stärkt damit globale Unternehmen mit fragwürdigen Positionen, denken Sie nur an den Datenschutz. Es geht hier gar nicht in erster Linie um Fake News.

kress.de: Bietet diese digitale Transformation nicht auch Chancen?

Michael Steinbrecher: Ohne Frage. Wir haben die Chance, über unsere Leser, Hörer, Zuschauer und User viel mehr zu erfahren. Aber die digitale Transformation hat eben auch viele dunkle Seiten. Mir wird zu wenig darüber diskutiert, was Facebook, Google, Amazon und auch Netflix alles über uns wissen und welche Wirtschafts- und Kommunikationsmacht ihnen zukommt. Ich möchte diese Unternehmen nicht dämonisieren, sie entwickeln viele gute Ideen. Aber Tatsache ist: Von uns entstehen Profile, die exakter sind, als sie jemals ein Geheimdienst dieser Welt entwickelt hat. Was passiert, wenn diese Informationen in die falschen Hände fallen? Und was passiert eigentlich mit dem unabhängigen Journalismus, wenn Google in Journalismus macht und zum Tagesbegleiter wird? Und zwar aus rein finanziellen Interessen? Diesen Fragen sollten wir uns stellen.  

kress.de-Tipp: Michael Steinbrecher, Günther Rager; Meinung, Macht, Manipulation - Journalismus auf dem Prüfstand, Westend-Verlag, 240 Seiten, 18,00 Euro, ISBN: 978-3-86489-165-6

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