"Es geht darum, ob die Schweizer Demokratie auch zukünftig auf die vierte Gewalt zählen kann. Und gerade in der Schweiz, wo die Bürgerinnen und Bürger mehrmals pro Jahr über teils komplexe Vorlagen befinden und wo es auch auf lokaler und regionaler Ebene journalistische Qualität und Vielfalt braucht, sind wir auf diese vierte Gewalt angewiesen." Das steht in einem Diskussionspapier über eine "direkte Journalismusförderung" , das die Fraktion der SP, der Schweizer Sozialdemokraten, Anfang März verabschiedet hat und über das SRF, das Schweizer Fernsehen, in der "Rundschau" ausführlich berichtete. Die SP in der Schweiz ist eine 20-Prozent-Partei, die zwei von sieben Mitgliedern des Bundesrats stellt, dem höchsten politischen Gremium.
Ein Hauch von Klassenkampf weht schon, wenn die Sozialdemokraten feststellen:
"Die verbliebenen Medienkonzerne fahren zwar hohe Profite ein, diese sind aber zunehmend von Journalismus entkoppelt. Die Eigentümerinnen und Eigentümer scheinen nicht bereit, auf Renditen zu verzichten. Also wird der Journalismus nur noch als Klotz am Bein mitgeschleppt und Schritt für Schritt weiter geschwächt."
Offenbar befürchtet die SP, wenn sie Medien direkt fördert, Probleme mit der Verfassung und will kurzfristig nur Online-Medien fördern, damit sie sich etablieren können - denn: "Der 'Markt' richtet es nicht." Ähnlich wie in Deutschland wird ein kleiner Teil der Rundfunkgebühren-Einnahmen schon heute anderen Medien gegeben; das können in der Schweiz Unternehmen sein, die keine Gewinne erzielen wollen oder die etwa in versteckten Alpentälern kleine Radiostationen betreiben.
Die Grünen, die keinen Sitz im Bundesrat haben, setzen sich auch für eine öffentliche Pressefinanzierung ein. Die übrigen Parteien lehnen sie ab und folgen den Verlegern der großen Verlage. Pietro Supino, Präsident des Verlegerverbandes, sagte gegenüber der "TV-Rundschau": "Medienförderung führt immer zu Abhängigkeiten und zu einem Machtmittel für jene, die über die Verteilung des Geldes entscheiden."
Mit einem "Gedankenexperiment" machte Veit Dengler, CEO der NZZ-Mediengruppe ("Neue Züricher Zeitung") , vor drei Jahren in einem Essay deutlich, was er von Subventionen hält:
"Denken Sie sich den Inbegriff eines traditionellen Gelehrten, einen Altphilologen, der sich als Kenner der lateinischen Literatur einen Namen gemacht hat. Er erkennt jedes Zitat, kann es so genau wie kein anderer zuordnen und perfekt übersetzen. Dann kommt das Internet. Er muss feststellen, dass sich immer weniger Menschen für seine Kenntnisse interessieren. Mittlerweile kann nämlich jeder Beliebige jedes beliebige Zitat mithilfe des Internets in Sekundenschnelle identifizieren und übersetzen.
Gefährdet das Internet das Fach Altphilologie? Nein. Braucht es neue Subventionen, damit das kulturell wertvolle Wissen und Können dieses Fachs nicht verloren geht? Nein. Das neue Medium hat einen Teil seiner bisherigen Arbeit überflüssig gemacht. Die Lösung müsste darin bestehen, dass die Altphilologie sich auf ihre davon unabhängigen Kompetenzen besinnt und sich das neue Medium für deren Ausübung - und Erweiterung - aneignet."
Kleine Lokalzeitungen in der Schweiz hatten sich vor sechs Jahren dafür ausgesprochen, eine direkte Presseförderung zumindest zu prüfen - gegen den Verlegerverband, der sich, ausgestattet mit einigen Gutachten, gegen Subventionen ausgesprochen hatte. Hugo Triner ist Verleger des "Bote der Urschweiz", einer Lokalzeitung mit 16.000 Auflage; er sagte in einem Interview mit dem Medienmagazin "Edito":
"Der Verband wird von den großen Verlegern dominiert. Das ist nicht nur ihre Schuld, es gibt einfach immer weniger kleine Verleger. Der Verband findet in seiner Stellungnahme, die Qualität der Medien sei mehr oder weniger in Ordnung. Ich sehe das anders: Ich stelle eine eindeutige Niveausenkung fest."
Das waren die Argumente der Lokal-Verleger für eine direkte Förderung von Zeitungen:
1. Der Markt hilft nicht unbedingt, die Qualität zu steigern, wie es die USA und Italien beweisen.
2. Eine direkte Presseförderung ist möglich, wenn der Staat nicht zu viel Einfluss auf den Inhalt nimmt.
3. Die Gefahr der staatlichen Einmischung kann gebannt werden durch klare Kriterien, etwa: ein bestimmter Anteil redaktioneller Eigenleistungen oder ein Qualitätsmanagement.
Die Sozialdemokraten bekommen Unterstützung vom Medienforscher Manuel Puppis, Professor an der Universität Fribourg, der in einer großen Studie über die Schweizer Medien zu dem Schluss kommt:
Die Medien befinden sich in einer strukturelle Krise, die nicht vorbeigehe; deshalb sei eine öffentliche Finanzierung nötig: "Es geht nicht einfach ums Überleben einer Wirtschaftsbranche. Es geht um unsere direkte Demokratie."
Und in Deutschland? Auch wenn die strukturelle Krise der Medien ähnlich wie in der Schweiz verläuft, macht sich keine Partei für eine direkte Förderung des Journalismus stark. Die indirekte Förderung ist allerdings, wie in der Schweiz, unumstritten: Reduzierte Umsatzsteuer und preiswerte Zustellung von Zeitungen durch die Post.
Ob mit dem neuen Bundespräsidenten wieder Schwung in die Debatte um staatliche Förderung des Journalismus kommt? Vor acht Jahren schrieb Frank-Walter Steinmeier über Medienpolitik in der Demokratie: "Sie setzt nicht auf die Kräfte des Marktes allein, sondern gewährt eine steuernde, stützende Hand der Gesellschaft, notfalls auch des Staates. Letzteres gilt vor allem dort, wo nicht nur eine vorübergehende Marktschwäche, sondern ein offensichtliches Marktversagen im Medienbereich festzustellen oder zu erwarten ist... Wer die Medien dem Markt überlässt, schwächt sie in ihrer demokratischen Rolle und macht sie ausschließlich zu Waren und Dienstleistungen."
Der Ton dieser Sätze ähnelt dem der Schweizer Sozialdemokraten, die eine Debatte über Staatsförderung angestoßen haben.
Dürfte der Staat beispielsweise Lokalzeitungen retten, die in wirtschaftliche Not geraten? Der Saarbrücker Professor Rudolf Wendt hat Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts untersucht und kommt zu dem Schluss:
"In Deutschland würden staatliche Finanzhilfen die Chancen kleinerer Zeitungen ohne Zweifel spürbar verbessern." Das Bundesverfassungsgericht entscheidet sich aber nicht eindeutig:
Einerseits greift der Staat unzulässig in den Wettbewerb ein.
Andererseits dürfte der Staat eingreifen, wenn er keinen Einfluss auf den Inhalt der Zeitungen nimmt. "Daraus könnte man schließen, dass eine selektive Subventionierung lediglich von umsatz- und wirtschaftsschwächeren Presseunternehmen verfassungsrechtlich zulässig wäre... Demgegenüber lässt sich nicht einwenden, dass selektive Förderungsmaßnahmen zwar die Existenzfähigkeit sichern könnten, aber gleichzeitig den kleinen Unternehmen ihre Unabhängigkeit und Freiheit nähmen. Dieser Gefahr könnte man durch eine adäquate gesetzliche Ausgestaltung der Förderung begegnen."
Wäre bei uns zumindest eine Debatte über die Förderung von Lokalzeitungen notwendig? In den meisten Landkreisen gibt es nur eine Zeitung; in immer mehr Kreisen jenseits der Ballungsgebiete sind die Redaktionen so schwach besetzt, dass eine notwendige Kontrolle der Bürgermeister, Landräte und anderer Funktionäre so gut wie unmöglich ist. Ist dort die Demokratie in Gefahr? Wird die Mitwirkung der Bürger erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht, wenn sie nicht mehr gut und unabhängig informiert sind? Ist es nicht Aufgabe von Politikern, auch jenseits von Festreden die Demokratie zu stärken, gerade in den Städten, Dörfern und Kreisen?
Und die Antworten darauf?
Info
Marc Jan Eumann, Staatssekretär für Medien in Nordrhein-Westfalen, hat 2011 in seinem Buch "Journalismus am Abgrund" vierzehn Thesen aufgestellt:
Die Digitalisierung verändert alles
Die Verlage sind gefordert
Die Gesellschaft ist auch gefordert: Ein Stabilitätspakt für Journalismus
Mehr Respekt vor dem Lokaljournalismus
Stiften gehen
Mitarbeiter beteiligen
Leser können mehr als Lesen
Das duale System hat Zukunft
Die Haushaltsabgabe ist von allen für alle
Mehr Öffentlichkeit, mehr Transparenz
Ohne Online ist alles nichts, aber online ist (noch) nicht alles
It's the content, stupid!
Coopetition statt Konfrontation
Streiten über den besten Weg
Der Autor
Paul-Josef Raue arbeitete 35 Jahre lang als Chefredakteur von Lokal- und Regionalzeitungen, zuletzt in Thüringen, davor in Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main und Marburg. Er gründete in der DDR-Revolution mit der "Eisenacher Presse" die erste deutsch- deutsche Zeitung. Zusammen mit Wolf Schneider gibt er das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus, das seit zwanzig Jahren, immer wieder überarbeitet, im Rowohlt-Verlag erscheint. Auf "kress.de" erschien die zwanzigteilige Serie "Journalismus der Zukunft". Sein Blog mit weit über tausend Einträgen: www.journalismus-handbuch.de. Er berät heute Verlage, Redaktionen und speziell Lokalredaktionen und unterrichtet an Hochschulen.
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