Ich liebe die Zeitung. Ich bin ein Kind der Zeitung. Meine ersten journalistischen Gehversuche fanden, wie bei so vielen Kollegen, bei einer Lokalzeitung statt. Anschließend habe ich dort das Handwerk richtig gelernt und meine ersten Brötchen verdient. Trotz des Wandels der Medienbranche, des Einbruchs der Auflagenzahlen Anfang der 80er Jahre, was mit Privatfernsehen begann und mit Privatrundfunk und schließlich mit der Internetrevolution fortgeführt wurde - trotz allem war ich immer fest davon überzeugt: Zeitungen wird es ewig geben. Geschuldet der haptischen Gemütlichkeit beim Frühstück oder am Wochenende auf der Couch. Den Neuigkeiten. Politischen Einordnungen. Exklusiven Blicken hinter die Kulissen. Überraschenden Geschichten. Dem Lesevergnügen. Was konnte es für einen politisch interessierten und gesellschaftlich engagierten Menschen Schöneres geben? Und was konnte so etwas jeden Tag leisten, außer einer guten Tageszeitung? War die letzte Seite zugeklappt, machte sich ein wohliges Gefühl breit. Ich wähnte mich gut unterhalten, gut informiert und auf dem neusten Stand des Geschehens daheim und in der Ferne. Eine ziemliche melancholische Retrospektive? Vielleicht.
Seit einiger Zeit aber will sich so ein Gefühl bei mir so gar nicht mehr einstellen. Immer häufiger kommt es vor, dass ich meine überregionale Tageszeitung durchblättere und bei vielleicht zwei, manchmal auch nur einem Artikel hängenbleibe. Gleiche Erfahrungen mache ich, wenn ich im Berufsalltag die anderen Print-Erzeugnisse zur Kenntnis nehmen: Das Nachrichtliche ist nicht mehr nachrichtlich. Die wichtigen Meldungen hab ich schon längst wahrgenommen - über Facebook, Twitter, Radio, Fernsehen. Das Hintergründige ist nicht mehr hintergründig: Ich habe mich bereits online in die Sache vertieft, Online-Journalismus ist halt nicht mehr nur oberflächlich und schnell; außerdem greifen Online-Kollegen auf dasselbe Agenturmaterial zurück, das Zeitungs-Kollegen für ihre Berichte am nächsten Tag nutzen. Das Überraschende ist nicht mehr überraschend: Das schöne Ideal, den Leser jeden Tag aus Neue zu verblüffen, ist wegen der heutigen Informationsflut kaum mehr erreichbar. Und das Vergnügliche in der Zeitung ist auch nicht mehr vergnüglich: Welche Redaktion hat angesichts des Sparwahns noch Geld, einen Autor abzustellen, um etwas Schönes zu schreiben? Oder sich gar eine "Edelfeder" zu leisten?
In mehr als 20 Jahren haben es die Verlage nicht verstanden, dass man zwar mit weniger Personal durchaus noch dieselbe Menge an Zeitungsseiten füllen, aber keine überzeugende Qualität mehr liefern kann; zumindest keine für die Kunden gerne bezahlen. Im Redaktionsalltag findet sich im Zweifelsfall immer jemand - und sei es der Praktikant -, der in die Bresche springt, um sich in den Augen der Chefredaktion hervorzuheben, in der Hoffnung seine Berufsaussichten zu verbessern. Ich selbst habe als Jungspund komplette Lokalausgaben verantwortet, weil alle Redakteure aus unterschiedlichen Gründen abwesend waren. Selbstverständlich kann eine solche Lokalausgabe nicht dieselbe Überzeugungskraft haben, wie eine, die mit voller Mannschaftsstärke geschaffen wurde. Die Gleichung, die daraus resultiert, ist so einfach wie simpel: sinkende Qualität = abnehmende Attraktivität = Abo-Kündigungen.
Ich ringe schon seit einiger Zeit mit mir. Nun bin ich tatsächlich kurz davor, das Abo für meine überregionale Tageszeitung zurückzugeben. Denn eigentlich halt ich fast nur noch aus eben jener Melancholie daran fest. Aus Solidarität mit den Kollegen. Und weil man mir als junger Mann eingebläut hat, ein Journalist müsse mindestens eine Tageszeitung abonnieren. Nur, wie lange können solche Argumente tragen?
Autor: Thorsten Gerald Schneiders
Zur Person: Der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders (Herausgeber u.a. von "Salafismus in Deutschland") ist Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk.
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