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Der Tod und die Beisetzung Helmut Kohls haben noch einmal vor Augen geführt, dass die großen politischen Schlachten vorüber sind, fürs erste jedenfalls, denn natürlich wird das nicht für alle Zeit so bleiben.
Das gilt für die Politik und erst Recht für den politischen Journalismus. Die Portraits und Nachrufe auf Kohl zeichneten sich - bis auf zu vernachlässigende Patzer wie den der "taz", für den sich Chefredakteur Georg Löwisch im Anschluss auch entschuldigte - durch Differenziertheit und die Fähigkeit aus, den Menschen und seine Arbeit in Widersprüchen zu zeichnen. Norbert Lammert erklärt "das geringere Maß an Leidenschaft" in den aktuellen politischen Debatten damit, dass "die großen Richtungsentscheidungen der Republik alle getroffen sind. Zu den damals hochkontroversen Entscheidungen gibt es heute kaum noch ernsthaften Streit".
Helmut Kohl unterschied die Journalisten danach, ob sie Feind oder Freund waren und maß dies an den großen Konflikten seiner Zeit - Westbindung, Wiederbewaffnung, Ostpolitik, Stationierung der Mittelstreckenraketen und nicht zuletzt natürlich an der Loyalität zu ihm.
Die heute in der Journalistenausbildung betonten Ansprüche an Journalisten, sich mit Politikern nicht gemein zu machen, hielt er für Bimbes. Er suchte sich seine Freunde, und wenn wenn sie die Freundschaft erwiderten wie Kai Diekmann, wurden sie es.
Insoweit war Kohl ein Kind der westdeutschen Bundesrepublik und betrieb dies Geschäft mit der ihm eigenen Direktheit ohne den intellektuell nachdenklichen Überbau eines Willy Brandt. Denn damals verstanden sich nicht nur konservative Journalisten als "Partei".
In den sechziger Jahren wuchs eine Generation von Journalisten heran, die sich der SPD in dem Sinne verpflichtet fühlten, dass endlich und erstmals - gegen alle verächtlichen Adenauerschen Warnungen - in der neuen Republik auch ein Sozialdemokrat das Land zu regieren habe. Dieser Wechsel galt für sie als Beweis demokratischer Reife.
"Die Unsrigen waren im Kanzleramt angekommen", notierte Günter Gaus und vermerkte seine "naive Freude auf das Ende der restaurativen Epoche". Gaus hatte in der Wahlnacht 1969 die Geheimnummer Walter Scheels an Brandt weiter gereicht, damit dieser die entscheidenden Absprachen vornehmen konnte.
Noch als Chefredakteur des "Spiegel" redigierte er die erste berühmte Regierungserklärung des Bundeskanzlers ("Mehr Demokratie wagen") und später auch Brandts Nobelpreis-Rede (Günter Gaus: Widersprüche. Erinnerungen eines linken Konservativen. München 2000 und eigene Gesprächsnotizen). Dass ein leitender Journalist eines führenden Magazins dem Kanzler zuarbeitet, wäre heute undenkbar und würde zu seiner Entlassung führen. Der vermeintliche und tatsächliche Aufbruch der Republik ließ die Grenzen zwischen politischem Amt und Journalismus verwischen.
Gaus wurde Leiter der ständigen Vertretung in der DDR und später wieder Journalist, Rudolf Augstein probierte sich als Bundestagsabgeordneter. Martin Süßkind wechselte als Redenschreiber zu Brandt, später als Chefredakteur zurück in den Journalismus und blieb dort aber den SPD-Politikern eng verbunden.
Erst während der Amtszeit der rotgrünen Regierung begannen sich die publizistischen Schlachtordnungen aufzulockern. Eine neue Generation gab den Ton an, die sich nicht länger mehr den vertrauten Fronten zuordnen lassen wollte. Mit wachsendem Ärger und Unverständnis musste Gerhard Schröder erkennen, dass er nicht mehr wie selbstverständlich auf den "Spiegel" setzen kann.
Sicher gab es noch Journalisten wie Jürgen Leinemann, den mit Schröder eine lange und wechselhafte Beziehung verband. Leinemann schreibt über den Abend der Wiederwahl Schröders im Kanzleramt: "Denn ohne Vorankündigung war ich plötzlich ausgeschlossen. Unvorsichtigerweise hatte ich kurz das Chefzimmer verlassen, und als ich zurück kam, war die Tür geschlossen. Hatte mir Schröder nicht noch ein Interview versprochen? Doch, aber das war vorhin, jetzt konnte er zum ersten Mal halbwegs sicher sein, dass er es wieder schaffen würde. Mein ehemaliger Freund Gerhard Schröder war wieder ganz Kanzler: "Du hast Privilegien genug gehabt heute Abend" (Jürgen Leinemann, Höhenrausch, Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, 2004).
Anders als viele Kollegen hat Leinemann diese Spannung von Nähe und Abstand immer wieder reflektiert. Bei der Nähe geht ja nicht darum, eine Agenturmeldung ergattern und heute twittern zu können, sondern um das Verständnis für die Motive und vielleicht strategischen Überlegungen der Amtsträger. Aber Nähe verpflichtet den Journalisten, wenn sie aufrichtig ist. Sich ihr zu entziehen, verlangt große Anstrengungen. Viele scheitern daran.
Helmut Kohl ging es ähnlich mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der er sich und die sich ihm verbunden fühlte. Plötzlich war unter Frank Schirrmacher, dessen Berufung zum Herausgeber Kohl aktiv mit Telefonaten unterstützt hatte, ein frischerer und unbefangener Ton auch gegenüber der Kohl-Regierung zu vernehmen.
Patrick Bahners war ein Beispiel dafür, aber auch der spätere AFD-Politiker Konrad Adam. In der Politischen Redaktion standen Günter Bannas und der dann zur "Welt" wechselnde Eckard Fuhr für einen solchen kritischen Journalismus. Und nicht zuletzt der im vergangenen Jahr verstorbene durch und durch konservative Karl Feldmeyer.
Er erlebte am eigenen Leib, wie Kohl Journalisten in Feind oder Freund aufteilte. Am 27. November 1999 hatte Kohl ihn noch an einer vertraulichen Gesprächsrunde eingeladen, in der er sein deutschlandpolitisches Zeh-Punkte-Programm vorstellte. Danach verfiel er der Ungnade des Kanzlers, weil er Kohl in seiner journalistischen Arbeit die geforderte Loyalität verweigerte. Feldmeyer empfand Kohl als einen "machtpolitischen Triebtäter".
Zehn Jahre später schrieb oder genauer: machte dieser Journalist Politik. Feldmeyer gab einen entscheidenden Anstoß zum Aufstieg Angela Merkels, der vielleicht ebenso wichtig für sie war wie die von Merkel bei der Trauerfeier gewürdigte Rolle Kohls. Der gesamtdeutsch denkende Feldmeyer war früh und nicht zuletzt wegen ihrer ostdeutschen Herkunft fasziniert von Merkel und bemühte sich in beinahe väterlicher Weise um sie. Mit dem großen Gespür des erfahrenen Politik-Beobachters für den richtigen Moment ermutigte er Merkel, in einem Artikel in der FAZ vom 22. Dezember 1999 Abstand der CDU von Kohl zu fordern. Mit der ihm eigenen Sorgfalt redigierte Feldmeyer ihren historischen Artikel, der sie schließlich ins Kanzleramt führte.
Es ist die Ironie der Geschichte, dass Merkel die politischen Erwartungen Feldmeyers bitter enttäuschte.
Er wandte sich von ihr ab, weigerte sich aber, mit der ihm eigenen preußischen Disziplin über die von ihm als bitter empfundene persönliche Seite seiner Enttäuschung zu sprechen. Anderen nach ihm ging es ähnlich. Sie suchten Merkels Nähe, oder Merkel zeigte sich durchaus an Gesprächen abseits einer Berichterstattung interessiert. Bernd Ulrich, stellvertretender "Zeit"-Chefredakteur, gefällt sich gelegentlich darin, in Andeutungen seiner Artikel auf solche vertraulichen Gespräche zu verweisen.
Manche ihrer Gesprächspartner mögen sich für eine kurze Zeit als Berater der Kanzlerin empfunden haben; eine gefährliche Versuchung von Journalisten, die die Welt erklären und bewerten wollen, aber schließlich glauben, es nicht nur besser zu wissen, sondern auch noch besser regieren zu können.
Sie alle mussten erfahren, dass Merkel die Grenzen der Nähe zu ihr selbst und entschieden zieht. Wie Kohl erinnert sie sich lange an von ihr empfundenes Fehlverhalten einzelner Journalisten. So behielt sie genau in ihrem Gedächtnis, welche Chefredakteurin ein in der Tat wirklich unvorteilhaftes und unfreundliches Foto von ihr auf die Titelseite gesetzt hatte. Aber anders als Kohl denkt sie dabei nicht in dessen mythischen Freund-Feind-Kategorien. Sie begnügt sich damit, den notwendigen Abstand von Politikern zu Journalisten zu halten.
Daran tut sie gut. Willy Brandt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel verbindet, dass sie unter Journalisten kaum Freunde fanden, auch wenn der eine oder andere Name zu nennen wäre, nicht nur Manfred Bissinger bei Schröder oder Kai Diekmann im Hause Kohl, der in den vergangenen Tagen vieles vereinte, was nicht zu vereinen ist, Berater der Witwe, Concierge im Hause des Verstorbenen, Fotograf, Journalist und vielleicht designierter Chef einer Kohl-Stiftung.
Aber Kai Diekmann ist der Journalist, der die "Bild"-Zeitung am entschlossensten aus den Schützengräben der alten Bundesrepublik heraus geführt, entideologisiert und modernisiert hat. Es mag für Kohl sprechen, dass sie trotzdem Freunde blieben.
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