kress.de: Wozu braucht es ein Zentrum für konstruktiven Journalismus? Ist die Presse denn auf dem Weg, destruktiv zu werden?
Ulrik Haagerup: Wissen Sie, die Kultur in den Redaktionen - und zwar in der gesamten westlichen Welt - ist mit einer Krankheit infiziert. Und das Symptom dieser Krankheit zeigt sich darin, dass wir eine Geschichte nur dann für eine Gute halten, wenn sie eine schlechte Nachricht beinhaltet.
kress.de: Aber sind "Bad News" nicht tatsächlich "Good News"? Sie verkaufen sich besser, heißt es...
Ulrik Haagerup: Ja, das glauben wir. Aber Studien zeigen, dass die Medienkonsumenten konstruktive Nachrichten viel mehr schätzen als negative. Es ist für sie viel fesselnder, mögliche Lösungen zu diskutieren als wieder einmal eine Geschichte darüber zu lesen, was alles schiefläuft.
kress.de: Woran liegt es denn, dass wir trotzdem vor allem schlechte Nachrichten verbreiten?
Ulrik Haagerup: Daran, dass wir so sehr von der Angst getrieben sind, von Kollegen als reine "Mikrofonständer" angeklagt zu werden. Daran also, dass wir befürchten, für nicht kritisch genug gehalten zu werden. Diese Furcht haben wir überkompensiert, indem wir fast aggressiv auftreten. Unser Irrtum besteht darin, das Ziel von großartigem Journalismus allein darin zu sehen, kritisch zu sein. Aber das stimmt nicht.
kress.de: Was sollte dann das Ziel von Journalismus sein?
Ulrik Haagerup: Das Ziel muss die Rückkoppelung mit der Gesellschaft sein, damit diese sich selbst ein Urteil bilden kann. Das bedeutet, wichtige Geschichten zu erzählen, so dass die Menschen sich informieren können, um ihre Blickwinkel zu erweitern. Dabei müssen wir natürlich kritisch sein, denn das bleibt das wichtigste Werkzeug für gute Journalisten. Wir vermengen das aber zu sehr mit dem eigentlichen Ziel der Information. Und gleichzeitig werden wir infiziert mit der Logik von Business Schools, die uns erzählen, Journalismus sei eines unter vielen Produkten, das einfach nur verkauft werden müsste.
kress.de: Aber ohne Verkauf kein Geld und damit kein Qualitätsjournalismus...
Ulrik Haagerup: Moment, bitte. Diese Logik will uns weismachen, dass wir den Leuten, von dem was sie anklicken, noch mehr geben sollten. Aber Journalismus hat für die Demokratie eine viel wichtigere Funktion als diese.
kress.de: Was wollen Sie den Journalisten, die zur Ihrer Konferenz kommen, beibringen? Was ist das Ziel der Veranstaltung?
Ulrik Haagerup: Ganz einfach: Sie müssen verstehen, dass der Journalismus, den wir praktizieren, einer der Gründe dafür ist, warum sich die Menschen von den Medien abwenden. Sie vertrauen unseren Berichten nicht mehr, und das wiederum bringt die Demokratie insgesamt in eine sehr ernsthafte Vertrauenskrise bis hin zum Zusammenbruch. Wir müssen begreifen, dass Journalismus ein Teil der Lösung für diese Herausforderung ist. Aber dafür müssen wir einige Dinge ändern.
kress.de: Unter anderem werden Sie auch über die Auswirkungen der Medien auf die gesellschaftliche Entwicklung diskutieren. Sie meinen, die Presse habe einen negativen Einfluss auf die Menschen. Warum?
Ulrik Haagerup: Das bestätigen immer mehr Studien. Der Hauptfokus unserer Branche liegt auf dem Negativen, auf den Konflikten und Extremen. Dadurch zeichnen wir der Öffentlichkeit ein dramatisches Bild. Aber die Leute begreifen, dass das falsch ist, weil sie dieses Bild mit der Wirklichkeit abgleichen. Das Problem jedoch ist, dass Regierungen und auch die Menschen keine Entscheidungen auf Grundlage der Realität treffen, sondern auf Basis der dargestellten Realität.
kress.de: Sie sprachen von Studien. Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Ulrik Haagerup: Eine Umfrage vom Reuters Institut in Oxford hat beispielsweise gerade erst gezeigt, dass der Hauptgrund, warum Menschen sich von den Medien abwenden, der ist, dass sie die Nachrichten deprimierend finden, dass sie diesen nicht trauen und dass sie sie apathisch werden lassen. Aber wir machen einfach so weiter wie bisher, und daher sind die Ergebnisse der Branche nun auch nicht wirklich beeindruckend. Wir müssen umsteuern und Nachrichten neu denken. Und genau darum geht es bei "Constructive News".
kress.de: Sind denn aus Ihrer Sicht die Überbetonung des Negativen und die Skandalisierung in den vergangenen Jahren schlimmer geworden?
Ulrik Haagerup: Ja. Um die Aufmerksamkeit des Publikums in einer immer mehr lärmenden Informationswelt zu erlangen, schreien Medienleute lauter und lauter: Mehr Eilmeldungen, mehr Drama, mehr Konflikte und mehr Boulevard. Das muss durch weisere, bessere und bedeutungsvollere Berichterstattung ersetzt werden.
kress.de: Sie zitieren auf Ihrer Homepage den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Worten: "Die Presse hilft der Demokratie nicht. Die Welt braucht mehr konstruktive Nachrichten." Soll das heißen, die Presse sei manchmal eine Gefahr für die Demokratie?
Ulrik Haagerup: Als mir Helmut Schmidt das gesagt hat, wurde ich sehr traurig. Denn ich habe mich einst für den Journalismus entschieden, um Gutes für die Gesellschaft zu tun - genau wie so viele andere Kollegen. Aber nun merke ich, dass ich Teil einer Nachrichten-Kultur geworden bin, die glaubt, sie täte Gutes. Aber gerade das machen wir nicht immer.
kress.de: Welche Konsequenzen haben Sie für sich selbst aus dieser Erkenntnis gezogen?
Ulrik Haagerup: Ich habe mich dafür entschieden, damit aufzuhören zu versuchen, die Politiker zu verändern. Ich will mich selbst verändern. Und das bedeutet, wenn ich als Journalist differenzierte Fragen stelle, werde ich möglicher Weise auch differenziertere und bessere Antworten erhalten.
kress.de: Wie sieht das aus?
Ulrik Haagerup: Normalerweise fragen wir: Wo? Was? Wie viele? Und dann fühlen wir uns gut und nennen uns selbst investigative Reporter. Wir fragen nach dem Warum und wen wir anschuldigen oder rügen müssen. Wenn wir aber, nachdem wir ein Problem dokumentiert haben, anfangen zu fragen: Was jetzt? Und wie? - dann bekommen wir zukunftsweisende Antworten. Denn Politik sollte sich um die Zukunft drehen, um Ideen, Visionen, Ideologien, Träume und konkrete Pläne für ein besseres Morgen. Aber weil wir nur nach dem Jetzt und der Vergangenheit fragen, richtet sich auch die Politik hauptsächlich an der Gegenwart und den Konflikten der Vergangenheit aus.
kress.de: Der Generaldirektor der Vereinten Nationen, Michael Moeller wird auf Ihrer Konferenz ein Referat halten. Was kann er den Journalisten über ihren Beruf erzählen?
Ulrik Haagerup: Er wird uns daran erinnern, dass Journalismus wichtig für die gesamte Menschheit ist. Dass wir nämlich eine große Verantwortung dafür tragen, ein wahrheitsgemäßes Bild der Welt zu liefern. Dass wir Probleme benennen, aber auch öffentliche Debatten erleichtern sollen - gerade, wenn es darum geht, wie diese Probleme gelöst werden können.
kress.de: Wie viele Teilnehmer erwarten Sie auf Ihrer Konferenz, insbesondere wie viele Journalisten und wie viele davon aus Deutschland?
Ulrik Haagerup: Wir haben Platz für 500. Und schon jetzt haben viele Autoren, Reporter und Journalismus-Studenten zugesagt - auch aus Deutschland. Gerade junge Journalisten sind der Narrative der traditionellen Presse überdrüssig. Die ermüden sie. Sie wollen etwas ändern. Und wir wollen ihnen helfen, nicht auch die schlechten Angewohnheiten anzunehmen, die die traditionellen Medienmacher haben. Wir wollen ihnen zeigen, dass eine gute Story nicht nur eine mit schlechten Nachrichten sein muss. Darum sind die Eintrittskarten für Studenten auch kostenfrei. Denn diese Leute sind unsere Zukunft.
kress.de-Tipp 1: Die "Global Conference for Constructive Journalism" steigt am 26./27. Oktober 2017 in Aarhus, Dänemark. Mehr Infos und Anmeldung hier.
kress.de-Tipp 2: Medien können nach Meinung des dänischen Journalisten Ulrik Haagerup viel Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie Themen konstruktiver angehen. Um Kollegen näher zu bringen, wie sie dies schaffen, hat Haagerup das Buch "Constructive News" veröffentlicht. Die deutsche Fassung von "Constructive News" erscheint im Medienfachverlag Oberauer und kann im unserem Online-Shop bestellt werden.
Hintergrund: Ende Juli hat Ulrik Haagerup seine Aufgabe als Chefredakteur des Danske Radio, also des Dänischen Rundfunks, beendet und inzwischen das Constructive Institute gegründet. Unter anderem veranstaltet er nun die erste weltweite Konferenz zum Thema.
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