Brexit Blues: Globale TV-Networks müssen London verlassen

01.11.2017
 
 

Internationale Fernsehanbieter kämpfen mit ähnlichen Problemen wie Londoner Banken: Sie dürfen voraussichtlich nach einem harten Brexit nicht mehr von Großbritannien aus nach Europa senden. Einige ziehen einen Umzug nach Deutschland in Betracht. Ein Bericht von Uli Hesse.

Fast 1500 Fernsehkanäle sind in Großbritannien zugelassen, etwa ein Drittel aller Kanäle in der gesamten EU. Doch die meisten Programme - über 1000 - richten sich nicht an Briten; sie sind zugeschnitten auf Zuschauer in Griechenland, Rumänien, Ungarn oder Norwegen und können auch nur dort empfangen werden.

Das ist das Geschäftsmodell globaler Multichannel-Networks wie Disney, Discovery, National Geographic, Turner und Viacom. Auch der Video-On-Demand-Sektor ist davon betroffen: Großbritannien ist der größte Exporteur von VoD-Dienstleistungen in Europa, von Nischenanbietern bis hin zu Amazon Prime.

Viele dieser Konzerne haben ihren Haupt- oder Europasitz nach Großbritannien verlegt, um von einer Besonderheit der EU zu profitieren: dem Herkunftslandprinzip. Danach dürfen Rundfunkanstalten ihr Programm in der gesamten EU übertragen, sofern sie die Regeln ihres Gastlandes einhalten.

Disney sendet mit einer britischen Lizenz nach Tschechien, Ungarn, in die Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Discovery speist 120 Kanäle für den europäischen Kontinent ein. Die schwedische Modern Times Group bestückt 60 Kanäle in 36 Ländern; die britische Lizenz ermöglicht es ihnen, das strikte Werbeverbote für Alkohol in Skandinavien zu umgehen. Davon profitiert auch die britische Wirtschaft: Die Commercial Broadcasters Association COBA schätzt, dass ihre Mitglieder dem Königreich einen direkten Nutzen von 400 Millionen Pfund (450 Millionen Euros) einbringen, plus zusätzliche Spillover-Effekts im Bereich Postproduktion und technische Unterstützung.

Im europäischen Vergleich trumpft Deutschland im Bereich Multichannel-Networks zwar mit dem zweiten Platz. Gemessen am Spitzenstandort Großbritannien liegt es aber weit abgeschlagen mit nicht einmal insgesamt 200 Fernsehlizenzen, davon rund 140 Export-Kanälen. Direkt darauf folgen Tschechien, Frankreich und die Niederlande.

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU Ende März 2019 bricht für die globalen Medienunternehmen mit Standort London die rechtliche Basis für dieses lukrative Geschäftsmodell weg. Nur wenn sich Briten und EU darauf einigen, dass die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie weiter gilt, dürfen die Unternehmen senden. Falls das nicht klappt, hoffen einige deutsche und britische Fachleute, dass das ältere Fernsehübereinkommen "Fernsehen ohne Grenzen" des Europarats dann greift. Doch COBA-Geschäftsführer Adam Minns warnt, dass dieses veraltete Abkommen moderne Ausstrahlungsarten wie TV on Demand nicht abdeckt - und das benötigen fast alle globalen Networks. Und nicht alle EU-Länder haben das Übereinkommen ratifiziert.

Ob nach dem Brexit ein mögliches neues Freihandelsabkommen zwischen EU und Großbritannien auch Rundfunk und Video on Demand abdecken wird, ist ungewiss. Fernsehkanäle haben lange Vorlaufzeiten. Daher müssen sich die Multichannel-Networks laut Adam Minns spätestens im Sommer 2018 entscheiden, ob sie einen Teil ihrer Firma in ein anderes EU-Land verlagern - und in welches.

Laut einer aktuellen Studie der Beratungsfirma Expert Media Partners werben Malta, Irland, Luxemburg und Zypern aktiv um die globalen Konzerne. Deutsche, irische und holländische Stellen für Medienregulierung und Wirtschaftsförderung berichten - darunter Justiziar Dr. Marco Holtz von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg - dass Vertreter der Multichannel-Networks seit März 2017 zu informellen Sondierungsgespräche an sie herangetreten seien.

Einige der britischen Multichannel-Networks besitzen bereits Niederlassungen in Deutschland. Viele konzentrieren sich in oder bei München wie Sky, Turner (Cartoon Network, TNT, CNN) und Discovery (DMAX); Viacom (Comedy Central, Nickelodeon) hat seine deutsche Zentrale in Berlin. Das dort bereits vorhandene Wissen und Personal würde die notwendigen Anträge für weitere Sendelizenzen sowie einen Standortwechsel mit Geschäftsführung, Programm- und Werbeverantwortlichen erheblich erleichtern. Die technische Infrastruktur wie Einspeisung ins Kabelnetz oder Satelliten-Uplink könnte ausgebaut werden. Und mehrere Landesmedienanstalten und regionale Wirtschaftsförderungsstellen signalisieren grundsätzlich ihre Unterstützung.

Autorin: Uli Hesse, Journalistin und Filmemacherin

 

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