Im Interview mit "PR Report"-Chefredakteur Daniel Neuen spricht Clarissa Haller auch über die Unabhängigkeit von Digitalagenturen und Vorstände, die twittern.
"PR Report": In der Siemens-Kommunikation hat sich viel verändert. Es gibt eine neue Struktur, einst führende Köpfe haben den Konzern verlassen oder neue Aufgaben. Warum dieser radikale Umbruch?
Clarissa Haller: Wir haben die Zahl der Unterabteilungen in der Kommunikation mehr als halbiert. Damit wollen wir vor allem schneller werden. Der Nachrichtenzyklus ist heute quasi minütlich. Das ist sehr deutlich geworden, nachdem Donald Trump der "New York Times" kurz nach seiner Wahl zum US-Präsidenten ein Interview gegeben hat. Darin sagte er, dass Windkraftanlagen die Golfplätze verschandeln und Vögel töten würden und die Einzigen, die davon profitierten, seien die Chinesen und Siemens. Idealerweise wären wir binnen zwei Stunden in der Lage gewesen, eine Infografik rauszuschicken, die zeigt, welchen Anteil Windenergie am US-Energiemix hat, dass der Anteil von Siemens daran eher klein ist, wie viele Mitarbeiter wir aber insgesamt in den USA beschäftigen und dort zur Wertschöpfung beitragen. Wir haben es nicht geschafft, diese Daten zusammenzustellen und die Freigaben dafür zu bekommen. So wie die Prozesse waren, hat das zwei Wochen gedauert. Ich könnte weitere Beispiele nennen. Und damit keine Missverständnisse aufkommen: Das ist keine Kritik an den Menschen, sondern an den Prozessen. Darüber hinaus brauchen wir natürlich auf den eigenen Kanälen die Reichweite und Vernetzung, damit unsere Botschaft zu den relevanten Zielgruppen durchdringt.
"Wir sind dabei, weniger deutsch zu sein"
"PR Report": Sie sind nun länger als ein Jahr Kommunikationschefin von Siemens. Was können Sie als Beleg vorweisen, dass Ihre Veränderungen richtig sind?
Clarissa Haller: Wir sind dabei, weniger deutsch zu sein. Die Regionen und Divisionen agieren freier und schneller. Wir werden auf den sozialen Kanälen besser, relevanter und reichweitenstärker. In den letzten zwölf Monaten haben wir unter anderem die Zahl der Vorstände mit einem eigenen Twitter-Account von zwei auf fünf gebracht. Die Nutzerzahl in unserem internen sozialen Netzwerk ist binnen eines Jahres um 50 Prozent gestiegen. Wir konnten die Anzahl der Leads auf den Webseiten steigern. Robin Zimmermann wird der Pressearbeit wichtige Impulse geben, nicht nur in Deutschland. Anneke Neuhaus ist zum 1. August gekommen, um Thought Leadership aufzubauen. Wir haben die Leitung der internen Kommunikation neu besetzt und nennen die Abteilung künftig Employee Engagement, um zu zeigen, dass es auch dabei um Austausch, nicht um Propaganda geht. Das dauert. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Es war wichtig, sich Zeit zu nehmen, um mit den Leuten zu reden, was verändert werden muss.
"PR Report": Stehen Sie nicht intern unter Druck, vor allem in Sachen digitaler Kommunikation etwas vorzeigen zu können?
Clarissa Haller: Das müssen Sie den Vorstand fragen, aber im Ernst: Wir haben schon eine Menge verändert. Ich bin überrascht über Ihre Frage. Ich finde, dass wir gut unterwegs sind. Wir werden viel unabhängiger von Agenturen. Auch das war ein Thema der Schnelligkeit. Wenn irgendwo auf einer Webseite ein Tippfehler ist, dann braucht es heute acht E-Mails unter Einbindung von drei Agenturen, um diesen auszubessern. Das ist kein Witz, sondern Realität. Wir haben keine eigene Bilddatenbank im Haus, sondern müssen Siemens-Bilder bei Agenturen bestellen. Wenn Sie sagen, dass vieles noch nicht sichtbar sei, verstehe ich Ihre Erwartung, weil man draußen denkt, Siemens sei eine Riesenmaschine. Aber das sind die Dinge, mit denen wir uns beschäftigen.
"Joe Kaeser wird künftig aktiv twittern"
"PR Report": Sie wollen Influencer stärker in den Fokus nehmen. Wie wollen Sie das machen?
Clarissa Haller: Wir setzen das derzeit systematisch auf. Vom Training für unsere Mitarbeiter bis zum Vorstand. Wenn Sie zu einem Vorstand gehen und ihm sagen, er müsse nun auch auf Social Media aktiv sein, wird der sagen, dass er dafür keine Zeit habe. Wenn Sie dem Vorstand zeigen, wo er mit welcher Zielgruppe sprechen kann, an welcher Stelle er sich mit zwei, drei Tweets zum Beispiel zum Thema Künstliche Intelligenz mit hoher Reichweite einbringen kann, ist die Reaktion anders.
"PR Report": Das heißt, Joe Kaeser wird künftig aktiv twittern?
Clarissa Haller: Ja. Thought Leadership ist ein elementarer Bestandteil unserer Kommunikationsstrategie. Die Vorstände und allen voran der CEO sind da enorm wichtige Multiplikatoren. Kommunizieren tun sie ja schon immer, jetzt erweitern wir die Arena.
"PR Report": Braucht Siemens Journalisten noch als Mittler und Multiplikatoren?
Clarissa Haller: Journalisten ordnen Dinge ein, deshalb sind sie so wichtig wie nie zuvor. Wenn wir als Unternehmen behaupten, wir seien die Schönsten und die Besten, sagen die Leute, das sei Propaganda. Wenn das ein Journalist sagt, hat das eine andere Glaubwürdigkeit, zumal in der heutigen Informationsflut, in der sich immer weniger unterscheiden lässt, was "Fake" und was real ist. Wir brauchen als Gesellschaft und als Unternehmen die Unabhängigkeit der Medien, deren Kritik und Spiegelung. Deshalb wird Medienarbeit immer ein starker Fokus sein, weil wir uns in der Berichterstattung spiegeln und Medien ein Korrektiv sein können. Journalistische Marken werden zu Leuchttürmen.
kress.de-Tipp: Das Interview ist ein Auszug aus der Titelgeschichte des "PR Report" 5/2017. Dort spricht Siemens-Kommunikationschefin Clarissa Haller ausführlich über Wandel und Widerstand, Vertrauen und Kontrolle, Gewinner und Verlierer. Hier können Sie den neuen "PR Report" als E-Paper oder Printausgabe bestellen. Oder im iKiosk.
Hintergrund: Der "PR Report" erscheint wie kress.de im Medienfachverlag Oberauer. "PR Report"-Chefredakteur ist Daniel Neuen, Herausgeber Johann Oberauer.
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