Die markt-erschütterndste Zahl für die Fernsehwelt versteckte sich in einer unscheinbaren Grafik auf Seite 38 des Digitalisierungsberichtes 2017 der Medienanstalten: Gefragt nach dem durchschnittlichen Nutzungsanteil linear/non-linear sagten die 14- bis 29-Jährigen, dass sie nur noch zu 38 Prozent klassisches lineares Fernsehen schauen (-17,8% ggü. 2016). Stattdessen gaben 44 Prozent an, dass sie non-lineares Bewegtbild, also VoD, nutzen (+21,5% ggü. 2016). Der Markt ist damit bei den unter 30-Jährigen faktisch innerhalb eines Jahres gekippt: Von linear zu non-linear, von klassischem TV zu Video-on-Demand.
Tipping Point erreicht
Auch bei den 30- bis 49-Jährigen ist VoD mit plus 15 Prozent massiv auf dem Vormarsch, wenngleich der Nutzungsanteil 2017 bei "nur" 20,2 Prozent liegt. Die Ü50er bleiben noch überwiegend klassische TV-Nutzer - das ist die gute Nachricht für den TV-Markt. Aber der Erdrutsch bei den unter 30-Jährigen könnte sich sehr rasch ausdehnen auf die unter 50-Jährigen. Qualität und Preis, Service und Inhalte der VoD-Angebote passen.
Was so unscheinbar im Zahlenwust daher kommt, ist offenbar der Anfang vom Ende der alten Fernsehwelt: Wenn bereits die unter 30-Jährigen in Scharen das lineare Fernsehen "verlassen", wird sich auf mittlere Sicht der klassische TV-Markt massiv verändern. Wenn keine attraktiven, jüngeren Zielgruppen mehr erreicht werden können, wenden sich auch die Werbekunden vermehrt den Onlineplattformen zu. Die alten "Jugendsender" verlieren ihre Erlösbasis. Was bleibt, sind TV-Sender für die rund 17 Millionen Senioren in Deutschland, während Netflix, Amazon Prime und YouTube boomen, so wie in den USA.
Die Nutzer, so hofften schon die Musiklabels oder die Zeitungshäuser, würden doch noch "zurückkommen", wenn sie erst älter geworden sind und sich ihr soziales Umfeld durch Arbeit und Kinder geändert hat. Doch die Hoffnung stirbt hier nicht zuletzt, sondern rasch, angesichts des rapiden Wandels.
Der letzte Rettungsanker der klassischen TV-Sender, dass die Nutzungsdauer des linearen Fernsehens noch sehr viel höher sei als bei VoD-Abrufdiensten, mag stimmen. Doch auch hier muss man fragen, welche Altersgruppen denn heute noch länger als vier, fünf oder mehr Stunden täglich Fernsehen schauen und zweitens, ob nicht das Thema "Binge Viewing" bei den VoD-Diensten auch zu einer erheblichen Ausweitung der non-linearen Videonutzung führt.
Insofern tut Wandel not: Wenn die Nutzer inzwischen das Spielfeld wechseln, müssen die Anbieter hinterher. Wo sind die Erlöspotenziale für jünger positionierte TV-Sender im Onlinebereich? Wie können klassische TV-Sender attraktive Mediatheken aufbauen und erfolgreich vermarkten? Viele Fragen werden sich 2018 stellen - dem Jahr der Non-Linearität.
Autor: Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia
Hintergrund: Der Artikel ist Teil des Goldmedia Trendmonitors 2018, der exklusiv auf kress.de erscheint. Goldmedia gibt im Trendmonitor alljährlich in Form von Analysten-Kommentaren einen Ausblick auf relevante Trends in den Bereichen Medien, Internet und Telekommunikation des kommenden Jahres in Deutschland. www.Goldmedia.com
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