Mozilla-Managerin Katharina Borchert: Warum viele Digitalprofis die Verlagsbranche verlassen

22.01.2018
 

"In den USA und speziell in der Tech-Branche gibt es eine andere Fehlerkultur – das tut extrem gut, wenn man große Ideen hat und sich ausprobieren möchte": Katharina Borchert, Chief Innovation Officer beim Open-Source-Entwickler Mozilla, sagt im Interview mit "kress pro", was Medienunternehmen tun müssen, um für Digitalprofis attraktiver zu werden.

"kress pro": Viele Digitalprofis wie Sie verlassen die Verlagsbranche. Warum?

Katharina Borchert: Ich glaube, dass viele anderswo eher die Möglichkeit sehen, Dinge zu bewegen und sich weiterzuentwickeln.

"kress pro": Geht es da auch um Budgets?

Katharina Borchert: Sicherlich haben viele Technologiekonzerne mehr Geld zur Verfügung. Das ist aber nicht maßgeblich. Maßgeblich ist das Veränderungstempo: Bei einem Arbeitgeber wie Mozilla kann man Projekte umsetzen, ohne sie vorher neun Monate in Gremien diskutieren zu müssen. Die Möglichkeit zu scheitern, ist dabei einkalkuliert. In den USA und speziell in der Tech-Branche gibt es eine andere Fehlerkultur - das tut extrem gut, wenn man große Ideen hat und sich ausprobieren möchte.

"kress pro": Wie können klassische Medienunternehmen solche Leute halten bzw. gewinnen? Wie sollte die Ansprache sein und wo findet man sie?

Katharina Borchert: Es muss ja auch nicht immer gleich ein riesengroßes Projekt werden, man kann auch kleine Sachen ausprobieren. Dadurch lernt man mehr und kann wiederum mehr umsetzen. In Amerika bekommen viele Menschen einfach früher Verantwortung - und das reizt natürlich Bewerber. Die Bereitschaft, jungen Leuten etwas zuzutrauen, ist ausgeprägter. In Deutschland waren die Voraussetzungen viel zu lang vorgezeichnet, am besten kam man von der Nannen-Schule oder war mal Vorstandsassistent. Zum Glück hat sich da mittlerweile auch einiges getan. Die Strukturen werden aufgebrochen und es kommen auch Quereinsteiger zum Zug, die keinen klassischen Lebenslauf haben.

"kress pro": Sie sind als Bloggerin gestartet zu einer Zeit, als das noch außergewöhnlich war. Worauf sollten Verlage achten?

Katharina Borchert: Ich glaube, vielen Medienhäusern fehlt ein tiefes digitales Produktverständnis und die erforderliche Produktkompetenz. Das ist mehr als nur klassischer Journalismus, man muss von allen Bereichen etwas verstehen: von der Technologie - ohne gleich ein Programmierer zu sein -, aber auch davon, wie die Geschäftsmodelle funktionieren. Ich habe mich umfassend für alle Bereiche interessiert und versucht, überall etwas zu lernen, ein holistisches Produktverständnis zu entwickeln. Ich habe viel zu viele Leute gesehen, die alleine mit Advertising-Sicht an etwas herangegangen sind. Oder es allein aus der technologischen Perspektive betrachtet haben. Oder allein eine journalistische Brille tragen. Was mir in der Diskussion vor allem meist gefehlt hat, war die Nutzerorientierung. Das Wichtigste im Digitalgeschäft ist, alles vom Nutzer her zu  denken und nicht etwas für sich selbst oder die eigene Peergroup zu entwickeln. Verlage müssen wirklich versuchen zu verstehen: Wie tickt der Nutzer? Wie können wir sein Leben besser machen oder heilsamer, reichhaltiger, produktiver? "User research" in dem Umfang, in dem er hier in Technologieunternehmen Alltag ist, habe ich in Deutschland nie kennengelernt.

"kress pro": Sind solche Menschen mit einem umfassenden Produktverständnis rar gesät?

Katharina Borchert: Ich glaube, es gibt sie. Man lässt sie aber zu selten machen, man lässt ihnen nicht genügend Freiräume, gibt ihnen zu wenig Verantwortung. Es werden noch immer zu viele Produktentscheidungen getroffen von Menschen, die sehr weit weg sind vom Markt, vom Nutzer, vom Produkt. Der "Spiegel" zum Beispiel hat damals genau die richtige Entscheidung getroffen, als er Ole Reißmann und Frauke Lüpke-Narberhaus "Bento" hat machen lassen. Ich habe die beiden unterstützt, etwa beim Businessplan. Aber wenn es um Produktentscheidungen ging, habe ich ihnen immer vertraut, weil sie all die Recherche gemacht und die vielen Gespräche mit den Nutzern geführt hatten. Sie waren diejenigen, die nah an der Zielgruppe sind, und nicht ich, die ich zehn Jahre älter bin.

kress.de-Tipp: Das Gespräch ist ein Auszug aus einem Interview in "kress pro" 9/2017. Darin spricht die Mozilla-Managerin Katharina Borchert mit "kress pro"-Autor Marcus Schuster über die "ausufernde Vielzahl von Trackern auf digitalen Verlagsangeboten, die deren Geschäftsmodell untergraben". Ein Thema, das bei Verlagen für Entsetzen sorgen würde und das man über Jahre vernachlässigt habe. Borchert sagt auch, warum sie sich in den USA so wohlfühlt. Die entsprechende "kress pro"-Ausgabe können Sie als E-Paper oder gedruckt - und im iKiosk erwerben. Per E-Mail können Sie sie unter vertrieb(at)oberauer.com bestellen.

"kress pro" - das Magazin für Führungskräfte bei Medien - erscheint wie kress.de im Medienfachverlag Oberauer. "kress pro"-Chefredakteur ist Markus Wiegand, Herausgeber Johann Oberauer. "Zum "kress pro"-Abo.

Zur Person: Katharina Borchert (Jahrgang 1972) ist seit Januar 2016 Chief Innovation Officer beim gemeinnützigen Open-Source-Entwickler Mozilla in Kalifornien, der unter anderem den Browser Firefox verantwortet. Die Mission von Mozilla: "Wir sind stolz darauf, als gemeinnützige Organisation dafür einzutreten, dass das Internet gesund, offen und für alle zugänglich bleibt", heißt es auf der Website. Anfang des Jahrtausends wurde die gebürtige Wattenscheiderin mit ihrem Blog "Lyssas Lounge" zu einer der ersten bekannten Bloggerinnen der Szene. Bei der WAZ entwickelte sie als Online-Chefredakteurin das Portal "Der Westen" und verantwortete schließlich als Mitglied der Geschäftsleitung das gesamte Online-Geschäft der Mediengruppe. Von 2010 bis 2015 war Borchert Geschäftsführerin von "Spiegel Online".

Ihre Kommentare
Kopf

Bea

22.01.2018
!

Und trotzdem werden die Verlage nicht wach. Da können noch so viele gehen. Im Gegenteil: Manch einer atmet erleichtert auf, dass der Digitalquerulant mit seinen immer neuen Ideen endlich weg ist. Jetzt nervt keiner mehr.


Dkr

19.02.2018
!

Und zum Abrunden kann Kress dann auch noch den Jobtitel "CEO Spiegel Online" in der Köpfe-Sparte abändern ;-)

https://kress.de/koepfe/kresskoepfe-detail/profil/1431-katharina-borchert.html


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