Dies ist nicht die 107.006. Fortsetzung des Shitstorms gegen Facebook, nicht die nächste Empörung über den Skandal. Dies ist der Versuch, Antworten auf die Frage zu geben: Wie können wir den Journalismus retten? Mit oder ohne Facebook? Auf jeden Fall kann keiner Facebook ignorieren, der über die digitale Zukunft des Journalismus nachdenkt.
"In einer Google- und Facebook-Welt ist die Monetarisierung nach wie vor schwieriger, als wir erwartet oder gewollt hätten", sagte der 53-jährige CNN-Präsident Jeff Zucker. "Wir brauchen Hilfe aus der Welt der Werbung und der Technologie, sonst wird guter Journalismus verschwinden." Oder doch mit Hilfe von Facebook selber?
Die meisten Verlage fahren eine Doppelstrategie, wenn sie überhaupt eine Strategie haben. Sie kämpfen gegen Facebook und kooperieren gleichzeitig mit Facebook: Zum einen suchen sie Unterstützung bei Politikern und der Regierung, damit diese Facebook und Google nicht nur kontrollieren, sondern auch regulieren und ihre Macht beschränken. Zum anderen nehmen sie das Angebot von Facebook zur Zusammenarbeit an.
Der Test mit Abos von Instant-Artikeln war nicht erfolgreich. Die New York Times und der Guardian stiegen schnell aus, vor allem weil die Marke verloren geht: "Das haben wir auf Facebook gelesen", sagen die meisten Leser, und nicht: "Das haben wir beim Guardian gelesen."
Ob die Vorfahrt von lokalen Nachrichten auf der Facebook-Datenbahn mehr bringen wird? Noch gibt es keine Erfahrungen mit dieser Facebook-Initiative, sondern nur das Versprechen von Mark Zuckerberg: Die Leute sollen schneller und gezielt die Nachrichten finden, die für sie wichtig sind und sich auf ihr Leben direkt beziehen - eben Nachrichten aus ihrer Nachbarschaft.
In den USA hat Facebook Regionalverlage zu einem drei Monate dauernden Trainingslager eingeladen, dafür drei Millionen Dollar investiert, um Strategien für den digitalen Qualitäts-Journalismus zu entwickeln: Dreizehn sind dabei, darunter große wie der "Boston Globe", die "Chicago Tribune", die "Dallas Morning News" oder der "San Francisco Chronicle" (komplette Liste am Ende der Kolumne). Die Ergebnisse sollen allen lokalen Zeitungen in den USA zur Verfügung stehen.
Den Trainingsplan stellte Tim Griggs auf, früher Herausgeber der "Texas Tribune" und danach Digital-Manager bei der "New York Times". In einem Interview auf "Nieman Lab" erklärte Griggs, dass Facebook nicht im Zentrum stehe, vielmehr gehe es diese Fragen:
Wie sammeln wir die richtigen Arten von Daten?
Wie betreiben wir am besten das digitale Abonnement?
Wie stellen wir sicher, dass wir alle in die gleiche Richtung rudern?
Wie richten wir Redaktionen auf digitale Abonnements aus?
Wie können sich die Redaktionen so neu ausrichten, dass sie gut für den Journalismus und gut für die Loyalität und die Kundenbindung sind?
Wie arbeiten Newsrooms, Marketing, Produkt, Publikumsentwicklung, Technik, Werbung, an gemeinsamen Zielen?
Im Februar hatte das "American Press Institute" die Ergebnisse einer Umfrage unter 4.000 neuen Abonnenten von 90 lokalen Zeitungen veröffentlicht, wobei zwei Drittel über 65 Jahre alt waren.
Das zentrale Ergebnisse ist nicht überraschend: Print- und Digitalabonnenten sind unterschiedlich. Überraschender sind die Details:
Lokale Nachrichten sind für 60 Prozent der entscheidende Faktor bei der Abo-Anmeldung.
Jeder vierte Neu-Abonnent folgte der Zeitung vor der Anmeldung auf den sozialen Netzwerken.
Digitale Abonnenten sind jünger, männlicher und gebildeter als Printleser.
Digitale Leser werden häufiger von einer guten Berichterstattung zu einem Thema angezogen als Printleser (38 gegen 25 Prozent) und von besonders nützlichen oder interessanten Inhalten (47 gegen 36 Prozent).
Die Bezahlschranke war für die Hälfte der digitalen Abonnenten der Ausschlag fürs Abos.
Digital-Leser sind eher als Print-Leser motiviert, den lokalen Journalismus zu unterstützen (38 gegen 29 Prozent).
Bei der Auswertung der Umfrage ist allerdings Vorsicht geboten: Das sind Ergebnisse vom US-Markt, die nicht eins-zu-eins auf den deutschen zu übertragen sind.
"Alle Geschichten sind lokal" - stimmt diese Erkenntnis noch? Wissen Lokalredaktionen noch, dass sie überregionale Themen auf lokale Relevanz abklopfen müssen? Und über die Auswirkungen auf ihre Leser? Vor einem Jahr hatte Tim Griggs über dieses Thema geforscht und für die USA festgestellt: Nur noch in wenigen Redaktionen ist es üblich, dass ein Redakteur nationale Schlagzeilen nach Geschichten durchsucht, die lokalisiert werden können.
Einige Lokalchefs bedauerten, dass sie nationale Trendstücke gerne aufgegriffen hätten, wenn sie darauf gestoßen wären; andere sagten, sie hätten nicht die Ressourcen. Auch in deutschen Verlagen schätzen Verlags-Manager und auch Chefredakteure die Zentralisierung und errichten, oft unbewusst, eine Mauer zwischen dem Lokalen und dem Überregionalen: Die Mantel-Seiten werden zentral erstellt oder von anderen Verlagen eingekauft; dort kümmert sich selten einer um die Bedürfnisse der Lokalredaktionen, die zudem weit verstreut sind, mitunter sogar in verschiedenen Bundesländern. Die notwendige Lokalisierung fällt aus: Was bedeuten Beschlüsse in Berlin und Brüssel speziell für die Lesern meiner Stadt?
Die durch die Zentralisierung eingesparten Millionen fließen zum Teil in (noch) üppig ausgestattete Zentralredaktionen, die mit hohem Aufwand hinter exklusiven Politiker-Aussagen herjagen. Dabei wäre, auch mit Blick auf die digitalen Leser, eine Zusammenarbeit zwischen den nationalen Redakteuren und den lokalen notwendig - mit je anderem Expertenwissen und anderer Tiefe der Erfahrung über den Alltag der Leser. So und nur so wird das Ganze, eben der Qualitätsjournalismus, mehr als die Summe der Teile.
Das unverbundene Nebeneinander von nationaler und lokaler Berichterstattung wird die meisten digitalen Leser nicht überzeugen, sie erscheint ihnen provinziell in jeder Hinsicht. Sie wollen Qualität, sie verlangen die ihnen versprochene Qualität, gerade im Lokalen.
INFO
Diese Zeitungen nehmen an dem Facebook-Trainingslager teil:
The Atlanta Journal-Constitution, The Boston Globe, the Chicago Tribune, The Dallas Morning News, The Denver Post, The Miami Herald, The Minneapolis Star Tribune, The Omaha World-Herald, The Philadelphia Inquirer, The Seattle Times, The San Francisco Chronicle, The Tennessean und Newsday.
Der Autor
Paul-Josef Raue war 35 Jahre lang Chefredakteur, zuletzt in Erfurt, davor in Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main, Marburg und Eisenach. Zusammen mit Wolf Schneider gibt er das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus; sein Buch "Luthers Sprach-Lehre"" erschien 2017 im Klartext-Verlag, sein Essay "Transmedialer Wandel" gerade in dem Band "Die neue Öffentlichkeit" (Verlag Springer VS). Wenn er nicht schreibt, berät Raue Verlage und Redaktionen, speziell Lokalredaktionen, und lehrt an Hochschulen in Trier, Berlin und Salzgitter, wo er gerade eine Vorlesung über die "Renaissance von Zeitschriften" hielt.
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