"Das wäre der Horror für Tanit Koch: Unter fünf Bewerbern fürs Volontariat sind alle fünf Absolventen eines Journalismus-Studiums. 'Das macht eine Redaktion ärmer', sagt sie in einem "orange"-Interview mit Nena Schink", schreibt der ehemalige Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen Paul Josef Raue in seiner aktuellen "Journalismus"-Kolumne auf kress.de.
Das klingelt mir natürlich in Ohren, denn als Student, der den Bachelor Onlinejournalismus an einer Fachhochschule abgeschlossen hat und einen Master in Kulturjournalismus nun bald abschließt, ist so eine Aussage schon wirklich demotivierend. Gut - da emotionaler Journalismus richtig liegen kann, aber nicht muss und generell objektiver Journalismus anzustreben ist, mache ich nun einmal beides. Mit dem emotionalen Journalismus fange ich ob der naheliegenden Betroffenheit an und schreibe zunächst einmal an Tanit Koch via Twitter, wo ich ihre Ansicht nicht teile. Ein Meinungsstück aus meiner Perspektive.
Spannender ist dann aber der objektive Journalismus, denn dieser enttarnt, dass Koch von einem der führenden Journalisten falsch interpretiert wird. Die Primärquelle hilft dabei. In der heißt es zwar in der Zwischenüberschrift "Tanit Koch: Für eine Medien-Karriere bitte kein Journalismus studieren! (sic!)" und auch im Video rät Tanit Koch dazu, nicht Journalismus zu studieren, stimmt aber auch kein Loblied auf Journalistenschulen an, wie es Paul Josef Raue mit seinem Text passiert.
Tanit Koch begründet es mit Heterogenität in den Redaktionen. Viele Erfahrungen und viele Ansichten, um in einer Redaktion auch Diskussionen zu ermöglichen. Doch beim Stichwort Heterogenität drängt sich die Frage auf, wie diese innerhalb des Axel-Springer-Konzerns hergestellt wird. Auch Raue lädt mit seiner Argumentation dazu ein.
Weniger Heterogenität geht wohl nicht
Tanit Koch hat ausgeführt, dass es um eine heterogene Besetzung von Redaktionen geht. Ihrem journalistischen Werdegang mangelt es indes genau daran. Sie blickt zurück auf 13 Jahre Journalismus in Springer-Strukturen, wurde gefördert und war umgeben von Menschen, denen es nicht anders ging.
Insbesondere ihre letzten Jahre bei "Bild" verbrachte Sie mit Julian Reichelt, dessen Journalismuskarriere auch eher homogen, weil fast ausschließlich bei Springer, stattfand und dessen Journalismuspreis dann auch von der Springer-Akademie verliehen wurde. Als Mentor benennt Tanit Koch ausführlich ihren heute auch als Freund bezeichneten Kollegen Kai Diekmann. Mehr Springer-Verlag geht nicht. Weniger Heterogenität wohl auch nicht.
Homogenität auch beim Autoren Raue, der sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen muss, ob es nicht auch andere Meinungsverstärker für seinen Argumentation gegeben hätte, als ausgerechnet seinen Co-Autoren Wolf Schneider, mit dem er "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus gibt und der nun ausgerechnet der ehemalige Schulleiter der von Raue besuchten Journalistenschule ist.
Journalistenschulenschüler und Journalistenschulenleiter finden ihre Journalistenschulen gut und raten davon ab, Journalismus zu studieren. Ausgewogenheit geht für mich anders. Journalismus indes auch.
Raue schreibt: "Die enge Verzahnung von Praxis und Theorie, Reflektion (sic!) und Exzellenz ist notwendig als Vorbereitung für die wichtigste Aufgabe in einer Demokratie. Dies gelingt in einem Verlag besser als in einer Hochschule, da ist Tanit Koch beizupflichten."
An dieser Stelle geht Raue zu weit, denn diesen Schluss hat Tanit Koch im Interview gar nicht explizit gezogen. Im Kern ging es wohl eher darum zum Ausdruck zu bringen, dass Journalist_innen im Lebenslauf mehr vorweisen können sollten, als das Journalismusstudium.
(K)ein Hurra auf die Hochschulen
Wer das Abitur nach 8 Jahren absolviert und in der Regelzeit von 3 Jahren studiert, ist mitunter erst 21 Jahre alt, wenn der Bachelorabschluss erreicht ist. Aus Publikums- und Chefredakteursicht ist das verständlicherweise oft zu wenig.
Es kann aber auch für die Nominierung für den Axel-Springer-Preis reichen, wie im Fall einer Kommilitonin, die mittlerweile als freie Journalistin arbeitet und für ihre Undercoverarbeit nominiert war. Im Lebenslauf der Kommilitonin: öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanstalten, regionale und überregionale Tageszeitungen.
Im Kern gehe ich bei der Argumentation von Tanit Koch mit. Bliebe der Bewerberpool ausschließlich bei Journalist_innen mit wenig Praxis- und Lebenserfahrung, dann täte dies einer Redaktion nicht gut. Doch auch in Journalismusstudiengängen finden sich nicht nur Abiturient_innen mit wenig Lebenserfahrung.
An der Fachhochschule begegneten mir Menschen mit abgeschlossenen Berufen, die sich in den Journalismus wagten. An der Universität der Künste in Berlin sind es Menschen mit bereits absolvierten Volontariaten, international gesammelten Erfahrungen und unterschiedlichsten Studienabschlüssen.
Manche brachen das Studium ab, weil sie Redaktionen fanden in denen eine Festanstellung oder ein Volontariat möglich waren. Einige starteten Projekte, die für dieselben Journalistenpreise nominiert waren und auch ausgezeichnet wurden, die auch die Springer-Journalisten-Akademie für sich als Auszeichnung wertet, wenn ihre Absolventen sie sich erarbeiten.
"Pech für die anderen: Sie schnappen die besten Köpfe weg."
Ein Hurra auf die Hochschulen wäre ebenso falsch, wie der Schluss von Herrn Raue, dass einzig die Verlage und Journalistenschulen die bessere Ausbildung und die "besten Köpfe" liefern. Die Pressefreiheit in unserem Land zeichnet sich auch dadurch aus, dass es einen freien Zugang zum Pressesystem gibt und es sich entlang der journalistischen Produkte entscheidet, ob die Arbeit Anerkennung findet. Immer wieder werden Menschen dafür ausgezeichnet, die weder an Journalistenschulen waren, noch Journalismus studiert haben. Loblieder sind daher meist nur eines: peinlich.
Autor: Daniel Lücking
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