Der Schrecken über den drohenden Ausverkauf in Köln sitzt tief in der gesamten Branche. Für Kommentatoren ist er nur der Beginn einer Serie des Niedergangs. "Das Jahr 2019 wird für den Journalismus noch viele solcher schlechten Nachrichten bereithalten", schreibt Markus Brauck auf "Spiegel Online". "In den kommenden Jahren werden Zeitungen verschwinden. Es werden Titel eingestellt und Redaktionen nicht mehr berichten." Der Journalistenverband entdeckt einen "verlegerischen Offenbarungseid". Doch der Untergang bleibt aus, zumindest wird er auf unbestimmte Zeit verschoben. Dafür gibt es Gründe:
1. Die fetten Jahre sind vorbei, doch die meisten Regionalverlage freuen sich noch über eine gute, bisweilen zweistellige Rendite. Es gibt ausreichend Verleger und Erben, die Lust haben auf Zeitung und Journalismus. Unter ihnen werden die Käufer zu suchen sein, die mit Freude vor allem den "Kölner Stadtanzeiger", einer der Medien-Edelsteine, unter ihre verlegerischen Fittiche nehmen würden; vorausgesetzt sind in jedem Fall ausreichende Finanzmittel und die Zustimmung des Kartellamts:
Die Rheinische Post in Düsseldorf hätte das größte Interesse und die größte Freude: Sie ist Nachbarin der Kölner und würde das Rheinland nach einer Übernahme publizistisch dominieren. Aber die Chancen, eine Zustimmung des Kartellamts zu erhalten, dürften nicht allzu groß sein.
Die Verleger-Familie Ippen hätte gern eine Edel-Marke wie die in Köln in ihrem Imperium; der "Merkur" ist ihre bedeutendste Zeitung im weitverzweigten Imperium, doch er steht in München im Schatten der "Süddeutschen Zeitung";
die Funke-Gruppe könnte ihre publizistische Macht in Nordrhein-Westfalen ausbauen, sie hätte wohl auch Interesse an der "Mitteldeutschen Zeitung" in Sachsen-Anhalt, Nachbar der "Thüringer Allgemeine", die zu Funke zählt. Übrigens hatte Funke ein ähnliches Erben-Debakel erlebt - allerdings mit erfreulichem Ausgang: Die Erben von Erich Brost, einem der WAZ-Gründer, hatten keine Lust auf eine Verleger-Zukunft und verkauften nach dem Tod von Witwe Anneliese Brost ihre 50-Prozent-Anteile; doch als Käufer sprang der Gründungs-Partner, die Funke-Familie, ein und rettete so den Konzern;
die Schaub-Verleger-Familie aus Ludwigshafen mit der "Medien-Union" besitzt den führende Regionalverlag in Deutschland, herrscht über zehn Prozent der deutschen Zeitungskonzerne von der "Süddeutschen Zeitung", über die "Freie Presse" in Chemnitz bis zu den Stuttgarter Zeitungen und der "Südwest Presse"; sie dürfte sogar in der Lage sein, die kompletten DuMont-Anteile zu kaufen;
die Verleger-Familie Ebner aus Ulm, auch Partner im Imperium der "Medien-Union", ist selber in Kauflaune, hat gerade die "Lausitzer Rundschau" in Brandenburg mit einer Auflage von 70.000 übernommen und könnte zumindest Interesse an der "Mitteldeutschen Zeitung" haben;
die Verleger aus Augsburg bewegen sich im Süden und Südwesten und sind vor knapp zehn Jahren durch den Kauf der Würzburger "Main Post" und des "Südkurier" in Konstanz in die Liga der zehn größten Verlage aufgestiegen;
die Verleger aus Osnabrück bewegen sich noch im Norden, haben durch die Übernahme des "Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (sh:z)" und der "Schweriner Volkszeitung" ihre Auflage mehr als verdoppelt und gehören seitdem auch zu den zehn größten Zeitungsverlagen in Deutschland.
die Verleger-Familie Bauer in Hamburg besitzt nur eine Tageszeitung, die das Lieblings-Objekt des Patriarchen Heinz Bauer ist: Die "Volksstimme" in Magdeburg. Nach der Übernahme der "Mitteldeutschen Zeitung", die der Konzern wohl stemmen könnte, hätte Bauer das Monopol in Sachsen-Anhalt. Das Kartellamt würde wohl ein Veto einlegen.
Die Verlagsgruppe Madsack aus Hannover dürfte der Favorit auf eine mögliche DuMont-Zeitungs-Übernahme sein. Erst vor knapp einem Jahr ist DuMont mit 25 Prozent ins "Redaktions-Netzwerk Deutschland" (RND) von Madsack eingestiegen, also zu einem Zeitpunkt, als der Verkauf in Köln wohl so gut wie beschlossen war. Das RND beliefert alle Zeitungen der beiden Konzerne mit überregionalen Nachrichten.
2. Das Ende der gedruckten Zeitung wird nicht fallbeilartig kommen: Im nächsten Jahrzehnt werden die meisten Verlage noch ausreichend Leser, meist ältere, als Abonnenten halten können. Einige Manager nutzen die Zeit, um den digitalen Journalismus so auszubauen, dass er nicht nur bezahlbar wird, sondern auch die Existenz ihrer regionalen Verlage sichert. Vorbild ist die "Main Post" in Würzburg: Geschäftsführer Brandstätter, früher Chefredakteur der Zeitung, entwickelte zusammen mit der Redaktion das Projekt Aladin, um bis 2024 ohne Entlassungen zwanzig Prozent der Redaktionskosten zu senken und gleichzeitig die Qualität und den Nutzen für die Leser zu steigern (ausführliche Dokumentation dazu im Kress-Pro-Dossier).
3. Durch das Internet und den rasanten Aufstieg der Plattformen aus dem Silicon Valley zerbröselt langsam die Nachkriegs-Medien-Ordnung in Deutschland. Sie wurde in den Gründerjahren der Bundesrepublik entwickelt unter dem Eindruck weniger Rundfunk- und Fernseh-Frequenzen; daraus resultiert der zweigeteilte Markt von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, deren Einnahmen der Staat garantiert, und der privatwirtschaftlichen Presse, die sich selbst finanzieren muss. So hatte die Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg ein stabiles Fundament, um die Bürger ausreichend zu informieren - bis in die kleinste Kommune hinein.
Erst langsam nehmen Politiker das Problem wahr, dass die Information der Bürger bald nicht mehr überall gesichert ist; Defizite drohen vor allem in Regionen im Osten, aber auch in einigen ländlichen Regionen im Westen. Einige Regelungen zeigen, dass die Unruhe in der Regierung steigt: Erleichterungen im Kartellrecht für Kooperationen der Verlage; Entlastung bei Zusteller-Kosten; europa-weite Regelungen, um die Macht der US-Online-Plattformen einzudämmen; zaghafte Vorschläge, die Mehrwertsteuer für Verlage zu streichen. Ob das reichen wird? Oder braucht Deutschland eine neue Medien-Ordnung fürs Digital-Zeitalter, damit die Demokratie stabil bleibt mit Bürger, die seriös und ausreichend informiert sind.
INFO Die "DuMont"-Zeitungen
Kölner Stadt-Anzeiger
Kölnische Rundschau
Express in Köln und Düsseldorf (Boulevard)
Mitteldeutsche Zeitung, Halle
Berliner Zeitung
Berliner Kurier (Boulevard)
Hamburger Morgenpost (Boulevard)
Der Autor
Paul-Josef Raue war 35 Jahre lang Chefredakteur in Erfurt, Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main, Marburg und Eisenach. Mit Wolf Schneider gibt er bei Rowohlt das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus, in dem er von seinen Beobachtungen des US-Lokaljournalismus in Alaska vor gut dreißig Jahren berichtet. Im Klartext-Verlag erscheint seine Biografie des Genossenschafts-Gründers Friedrich-Wilhelm Raiffeisen: "Ein Leben für eine gerechte Gesellschaft". Zuvor erschienen "Die unvollendete Revolution" über die deutsch-deutsche Geschichte und "Luthers Sprach-Lehre". Wenn er nicht schreibt, berät Raue Verlage und Redaktionen und lehrt an einigen Hochschulen.
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