Die Rückkehr zur Normalität ist für viele Medienprofis der Anlass, über ihre berufliche und persönliche Zukunft nachzudenken. Soll es jetzt so weitergehen wie vor der Coronakrise? Was soll so bleiben, wie es war, was soll zukünftig anders laufen? Jeder hat seine eigene Situation. Gleichzeitig kann man von den Erfahrungen anderer lernen, wenn man selbst seit langem nicht mehr gewechselt oder sich überhaupt beworben hat. Hier zehn besonders häufige Fragen aus der Coaching-Praxis rund um die Neuorientierung - kurz beantwortet.
1. Gibt es im Journalismus überhaupt noch gute Jobs?
Ja. Auch heute werden noch Redakteursstellen vergeben, die gut bezahlt und interessant sind. 75 000 bis 90 000 Euro Jahresgehalt (ohne Führungsverantwortung) und komfortable Vertragsbedingungen sind durchaus möglich. Beispiel: 100 % Homeoffice, sogar Arbeiten aus dem Ausland, wenn jemand beispielsweise im Süden wohnen möchte. Die besten Chancen haben Medienprofis, die sich ein eigenes inhaltliches Profil erarbeiten und ein breites Netzwerk an Kontakten pflegen - in ganz verschiedenen Medienhäusern.
2. Was könnte ich tun, wenn ich mich ganz umorientieren will?
Wer den Journalismus verlassen will, entscheidet sich häufig für angrenzende Bereiche, die ähnliche Kompetenzen erwarten: PR in Unternehmen oder Agenturen, Corporate Publishing und Content Marketing (redaktionelle Inhalte für Unternehmen). Das in Festanstellung oder Selbstständigkeit. Andere wählen einen kompletten Branchenwechsel. Je nach Interesse ist grundsätzlich alles denkbar. Ehemalige Journalisten arbeiten jetzt als Lehrer, Hoteliers, Gastwirte, Archivare, Kindergärtner, Ladenbesitzer, Sporttrainer und vieles mehr.
3. Verdient man in der PR besser als im Journalismus?
Nein. Grundsätzlich ist das Gehaltsgefüge vergleichbar und hängt - wie im Journalismus - von Position, Unternehmen und Arbeitsort ab. Manche Position eines "Communication Managers" entspricht einer Sachbearbeiterstelle und ist entsprechend bezahlt. Wer zum PR-Redakteur wird, verdient oft ähnlich wie in der vorherigen Redaktion. Wesentlich höhere Gehälter sind in den Führungspositionen internationaler Konzerne möglich. Wer vom Journalismus in die PR will, um sich finanziell zu verbessern, wird häufig enttäuscht.
4. Haben langjährige Medienprofis noch eine Chance?
Ja, wenn Sie bereit sind, Ihren Vertrag nicht als goldenen Käfig zu sehen ("So etwas bekomme ich nie wieder"), sondern als Sprungbrett. Er gibt ihnen ein für heutige Zeiten ungewöhnlich hohes Einkommen, mit dem sie z. B. Schulden schneller abzahlen oder eine nebenberufliche Selbstständigkeit starten können. Auch auf eine Festanstellung haben Medienprofis über 50 noch Chancen. Sie sollten sich aber auf Fach- und Führungspositionen konzentrieren, in denen Sie Ihre Erfahrung in einer Mentorenrolle einbringen können.
5. Was ärgert Medienprofis am meisten in ihren Jobs?
Wenn sie sich zu Tätigkeiten gedrängt fühlen, für die sie den Beruf einst nicht ergriffen haben. Das betrifft vor allem alle CvD-Varianten, also sehr technisch und organisatorische Abläufe (z. B. Tagesplanung, Webseite steuern, Newsletter), die kaum noch Zeit für klassischen Journalismus lassen. Es folgen Schwierigkeiten mit dem Vorgesetzten: Sich überlastet oder zu wenig unterstützt zu fühlen, wenn z. B. wichtige Entscheidungen nie fallen. Dieser Frust zeigt aber auch, dass Sie sich weiterentwickelt haben, aus ihrer Stelle herausgewachsen sind.
6. Was ist der erste Schritt, wenn ich mich umorientieren will?
Eine Zielanalyse: Was will ich eigentlich? Denken Sie dabei über den Beruf hinaus: Wie wollen Sie leben - Arbeitsbelastung, Freizeit, Wohnort. Der nächste Job kann Sie diesem Ziel näher bringen. Wer sofort mit unüberlegten Aktivitäten (z. B. Bewerbungen verschicken, Kontakte ansprechen) beginnt, landet meist in einer ähnlichen Situation wie zuvor. Nur dann eben in einem anderen Medienhaus. Das ist ungünstig, wenn Sie etwas anders machen oder aufsteigen wollen. Beginnen Sie deshalb immer damit, Ihr Ziel zu präzisieren.
7. Was ist der größte Fehler bei der Neuorientierung?
Ewiges Zögern verbunden mit der Ausrede, dass man "noch überlege". In Wahrheit wird da nicht viel überlegt, also die eigene Lage überdacht und gezielt nächsten Schritte geplant. Es ist eher ein Aushalten mit freien Tagen und Urlaub als Alltagsfluchten. Einige Male im Jahr vielleicht eine halbherzige Bewerbung, die aber zu nicht viel führt. Das kann man machen, zahlt aber einen Preis dafür. Meist sind die Kosten für den Frust-Ausgleich (z. B. Reisen) beträchtlich. Man wird älter und nicht zwingend flexibler, verliert den Anschluss.
8. Soll ich kündigen, auch wenn ich noch nichts Neues habe?
Nur im Ausnahmefall. Wenn Sie den aktuellen Job körperlich oder nervlich nicht länger durchhalten, beispielsweise schon seit mehreren Wochen krankgeschrieben sind. Oder wenn Sie finanziell so dastehen, dass Sie im Notfall auch ein Jahr ohne Einkommen klar kämen (z. B. durch eine Erbschaft). Ansonsten ist es besser, sich aus dem aktuellen Job heraus zu bewerben. Sie sind weniger unter Druck und verhandeln damit leichter, können sich leichter Zugänge und Kontakte erschließen und bleiben im Berufsleben.
9. Meine Firma bietet mir eine Abfindung an. Nehmen?
Die Höhe einer möglichen Abfindung wird meist überschätzt und zudem vergessen, dass davon schnell die Hälfte ans Finanzamt geht. Ihr Arbeitgeber wird sie Ihnen nur anbieten, weil sie niedriger ist als die eingesparten Lohnkosten, wenn Sie einen Aufhebungsvertrag unterschreiben. Meine Empfehlung: Abfindung nehmen, wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr im aktuellen Job bleiben können, bereits einen Anschlussjob oder eine Selbstständigkeit vorbereitet haben. Ansonsten: Stelle behalten, von da aus bewerben.
10. Ich merke selbst, dass ich ewig zögere. Woran liegt's?
Medienprofis, die älter als ca. 35 Jahre sind, haben ein komplexes Leben: Partner, oft schon Kinder, Verpflichtungen (z. B. Mietvertrag, Kredite), gewisse Ansprüche (z. B. Gehaltshöhe, Wohnort, Lebensstandard). Berufliche Wechsel sind damit deutlich anspruchsvoller und erscheinen oft als unangemessenes Risiko. Das wird sich allerdings nicht ändern, bis die Kinder nämlich wieder aus dem Haus sind. Die "finanzielle Unabhängigkeit" kommt nie. Empfehlung daher: Flexibel bleiben, z. B. durch nicht zu hohe Konsumausgaben. Ein schrittweiser Übergang erlaubt kalkulierte, damit überschaubare Risiken.
Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis aus Journalismus, PR und Unternehmenskommunikation als Coach. Schwerpunkt: Berufliche und persönliche Neuorientierung. Im April 2020 erschien sein Buch: "Ich mach da nicht mehr mit" (Gräfe und Unzer). Mehr als 20 Jahre hat er selbst als Journalist gearbeitet, u.a. bei der "Freien Presse" in Chemnitz, "Bild" und "Blick". Für einen Schweizer Industriekonzern baute er die globale Marketingkommunikation mit auf. Er hat Betriebswirtschaft und Webentwicklung studiert.
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