Gisela Friedrichsen über Gerichtsberichterstattung: "Man muss auf Teufel komm raus etwas liefern"

 

Die langjährige Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen analysiert in einem Interview, warum die Arbeit von Gerichtsreportern in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden ist. Sie macht dafür auch "Opferaktivisten" verantwortlich.

Ende 2019 hat der kress-Schwestertitel "medium magazin" die langjährige Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen in der Kategorie "Lebenswerk" mit dem Ehrenpreis als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. In einem Interview mit dem "Fachjournalist" analysiert Friedrichsen jetzt, warum die Arbeit des Gerichtsreporters in den vergangenen Jahre viel schwieriger geworden ist.

Ein Grund dafür sei die Überbetonung der Perspektive der Opfer einer Straftat: "Die Opfer sind zum Teil sehr aktiv darin, auf die Medien zuzugehen – wobei die Medien zum Teil auch von sich aus auf die Opfer zugehen", so Friedrichsen. "Aber von ihnen bekommt man natürlich ganz andere Geschichten, als wenn man sich in den Gerichtssaal setzt und zuhört, was der Angeklagte erzählt oder was über den Angeklagten gesagt wird. Das steht dann in Konkurrenz zueinander. Die Opfer sind oft die Guten, die Angeklagten die Bösen; wer angeklagt wurde, ist zwangsläufig schon der Täter, auch wenn er noch nicht verurteilt ist."

Diese Situation missfalle ihr, bekennt Friedrichsen. "Ich bin davon überzeugt: Es ist für die Kriminalprävention ganz wichtig, dass man weiß, warum Taten geschehen sind, versucht, die Ursachen, die Umstände aufzuklären, unter denen sie geschehen sind. Denn dann kann man daraus Lehren ziehen, um Taten zu verhindern." Doch dann kämen "Opferaktivisten" und hielten einem vor, "wie viele Absätze man auf den Täter verwendet hat und wie viel weniger auf das Leid der Opfer und was man für doch für ein Scheusal sei und was für ein schlechter Journalist. Das ist auch keine Entwicklung, die ich begrüße."

Friedrichsen kritisiert in dem Interview auch bedenkliche Entwicklungen in der aktuellen Gerichtsberichterstattung: "Mittlerweile geht es nur um Effizienz. Wenn man irgendwohin geschickt wird, muss man auch auf Teufel komm raus etwas liefern – selbst wenn nichts passiert ist, was berichtenswert ist. Da werden dann Dinge hochgejazzt, hochgepusht, die keine Relevanz haben und mit der eigentlichen Sache nichts zu tun."

Zur Person: Gisela Friedrichsen hat mehr als 25 Jahre lang für den "Spiegel" Gerichtsreportagen geschrieben. 2016 wechselte sie zur "Welt".

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