Die grüne Kanzlerkandidatin: Warum Annalena Baerbock der Liebling der Medien ist

 

Die Wochenzeitung "Die Zeit" analysiert in der aktuellen Ausgabe die auffallend positive Medien-Wirkung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihre vermeintliche Unangreifbarkeit. Doch es gibt auch Gegenstimmen und erste Warnsignale.

Der Feuilleton-Redakteur Thomas E. Schmidt skizziert in seinem längeren Porträt- und Analyse-Stück die zeitgemäße Medienstrategie, mit der sich Annalena Baerbock deutlich von ihrem Hauptkontrahenten, dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, absetzt. "Die junge Frau wird sich jeden Tag dem Paternalismus des teddyhaften Unionisten entziehen, und jeden Tag wird Laschet dabei ein bisschen älter aussehen", schreibt der Autor mit spitzer Feder.

"Gäbe es in Deutschland so etwas wie einen öffentlichen Tugendwettbewerb – und selbstverständlich gibt es ihn in Zeiten des Wahlkampfes, selbst wenn nur Machtgewinn im Vordergrund zu stehen scheint –, dann hätte Annalena Baerbock diesen Wettbewerb jetzt schon für sich entschieden", so Schmidt. "Baerbock ist die Frau, die sich immer traut – bis in die Todeszone der Kanzlerfindung hinein. Als Berliner Politikerin steht sie ihre Frau genauso wie als Potsdamer Mutter, und sie beschädigte nicht einmal ihren Kandidaten-Mitbewerber. Sie exekutierte vielmehr bis zuletzt mit eiserner Disziplin die harmonische grüne Doppelspitze. Keinen parteiinternen Streit ließ sie zu, sie signalisierte Einvernehmen und Milieuöffnung, sodass sich die Grünen heute als Volkspartei fühlen dürfen."

Dabei zeichne die Kandidatin ein offener Kommunikationsstil aus, der sich abhebt. "In endlosen Talkshows und Interviews bekräftigt sie die berühmten 'Inhalte', während sie niemals pampig wird gegenüber Andersmeinenden", schreibt der Zeit-Redakteur. "Sie pflegt ein freundliches Verhältnis zur Kanzlerin, rügt rechtspopulistische oder frauenfeindliche Rüpeleien sofort und wahrt auch dabei die Form. Sie hält sich an alle Absprachen, ruft noch an, bevor sie für jemanden etwas Unbequemes verkündet, kennt sich in ihren Themen selbstverständlich aus, ist hartnäckiger als andere, verzeiht Fehler, sogar die eigenen, ist teamfähig, zugewandt, menschlich, beinahe weise." Eine Analyse, die Thomas E. Schmidt selbst etwas atemlos mit dem ironischen Ausruf "OMG" enden lässt.

"Journalisten staunen, wie Baerbock jede Pose vor den Kameras kontrolliert und ihre Interviews auf das Sorgfältigste redigiert. Falls sie Medientrainings absolviert, dann mit Bravour", lautet sein Fazit. "Gegenüber den Medien tritt Baerbock derzeit als Einzige aus der Spitzenpolitik wirklich souverän auf. Sie lässt sich durch nichts und niemanden unterkriegen, und das wird interessiert von einem Publikum verfolgt, welches solche Manöver inzwischen zu lesen gelernt hat und schätzt", schreibt Die Zeit. "So fliegt einer im Kreis der Kanzlerwilligen ziemlich jungen Frau Macht zu, ohne dass es der klassischen Machtsignale bedürfte."

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Doch es gibt auch Stimmen, die vor einem Sympathie-Überschwang warnen - und damit auch die Medienkollegen hart kritisieren. So gab zuletzt Thore Barfuss, Ressortleiter Nachrichten & Gesellschaft, der Springer-Zeitung "Die Welt" scharf Kontra. "Das Klischee, die Medien seien zu freundlich zu den Grünen, gibt es schon länger. Doch seit Annalena Baerbock ihre Kanzlerkandidatur angekündigt hat, überschlagen sich manche Journalisten schier vor Begeisterung", kritisiert er in einem Kommentar, den er "Stilkritik" nannte.

"Die Frage ist nicht mehr, ob Teile der Medien Annalena Baerbock und die Grünen lieben, sondern wie sehr", klagte Barfuss. Er kritisierte auch den Umgang anderer Journalisten mit der Kandidatin. "Da wird Baerbock in Kommentaren mit Vorschusslorbeer überhäuft. Da wird – im Vergleich zu CDU-Kandidat Armin Laschet – gerne immer das vorteilhafteste Foto ausgesucht", so der Welt-Mann. In Interviews würden "butterweiche Fragen" gestellt oder "gar Komplimente" gemacht.

Tatsächlich gab es zuletzt auch große Irritationen, als nach einem ProSieben-Exklusivinterview Annalena Baerbock von den Moderatoren Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke klatschend Beifall erhielt. Bild.de sprach in einem Nachbericht damals von einem "recht distanzlos geratenen Meet-and-Grett mit einem Polit-Popstar".

Besonders hart geht der Welt-Ressortleiter Thore Barfuss mit dem stern-Titelthema zu Annalena Baerbock ins Gericht - und dort vor allem mit einer angeblich distanzlosen Kommentierung der Erfolge der Grünen-Politikerin durch die stern-Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier. Barfuss bezeichnet das Gruner + Jahr-Magazin polemisch als "Speerspitze des grünen Journalismus in Deutschland" und fragt sich: "Die Geschichte im 'Stern' steht stellvertretend dafür, wie viel Nähe Medien im Bundestagswahlkampf zu den Grünen suchen werden. Werden die Grünen mit freundlicher Unterstützung der Medien tatsächlich ins Kanzleramt getragen, oder weicht die anfängliche Begeisterung für das Neue nach 16 Jahren Merkel und CDU?"

Die Debatte rund um die Kandidaten und ihren Zug zum Kanzleramt dürfte schon bald auch eine Mediendebatte werden.

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