Martenstein hatte in seiner Kolumne vom 6. Februar geschrieben, das Tragen von "Judensternen" auf Corona-Demonstrationen sei zwar eine "Anmaßung" und "Verharmlosung", aber "sicher nicht antisemitisch". Die Träger identifiizierten sich ja mit verfolgten Juden. Daraufhin entbrannte eine heftige Debatte, die Chefredaktion des Tagesspiegel distanzierte sich schließlich von ihrem Star-Kolumnisten und zog seine Kolumne zurück. Sie begründete ihre Entscheidung nur allgemein, ohne auf ihren Inhalt im Detail einzugehen: "Nicht alles, was rechtlich betrachtet gesagt werden darf, ist dem Ton des Tagesspiegels angemessen. Scharf dürfen Glossen, Kolumnen und Kommentare sein; persönlich verletzen sollten sie nicht."
Martenstein begründete seinen Abschied am Sonntag in seiner "Schlusskolumne" auf der Seite 1 des Tagesspiegel. Er sei in die Entscheidung der Chefredaktion "nicht eingebunden" gewesen, schreibt er dort. "So etwas bedeutet in der Regel, dass man sich trennt, den Entschluss dazu habe ich gefällt." Marteinstein weiter: "Wo man glaubt, nur man selbst sei im Besitz der Wahrheit, bin ich fehl am Platz." An der Argumentation in seiner Kolumne vom 6. Februar hält er ausdrücklich fest: "Leute, die Judensterne benutzen, um sich zu Opfern zu stilisieren, sind dumm und geschichtsvergessen. Leute, die auf ihren Demos zur Vernichtung Israels aufrufen, sind etwas gefährlicher. Ich habe meine Meinung nicht geändert."
Martensteins Kolumne, die Reaktion der Tagesspiegel-Chefredaktion darauf und sein Abschied von der Zeitung haben in der Branche zu heftigem Streit geführt: Der ehemalige DuMont-Manager Franz Sommerfeld begrüßt in einem Facebook-Beitrag den Abgang des Kolumnisten als "Gewinn für die Zeitung": Seine Kolumnen hätten sich zunehmend in "politische Kommentare und Leitartikel" verwandelt. "Im letzten behauptete er, die Anti-Impf-Demonstranten würden sich mit Juden identifizieren, obwohl er genau wusste, dass sie sich des Judensterns, der die Menschen einst in die Vernichtungslager von Auschwitz begleitete, bedienen, um gegen rechtsstaatlich erlassene Massnahmen zu protestieren. So verglich er die Rampe von Birkenau mit dem Impfzentrum des Berliner ICC."
Vor allem der letzte oben zitierte Satz von Sommerfeld hat wiederum für Aufregung gesorgt. Jochen Bittner, Ressortleiter Streit bei der Zeit, schreibt dazu bei Twitter: "Dass manche Journalisten den Abgang eines Kollegen feiern, ist schon denkwürdig genug. Dass sie es auch noch mit Hilfe von übler Nachrede aus dem intellektuellen Delirium tun, sagt dann noch mal mehr über sie als über #Martenstein."
Auch von der taz bekommt Martenstein Beistand: Silke Mertins, Resssortleiterin Meinung, wirft der Tagesspiegel-Chefredaktion Feigheit vor: Die Löschung der Kolumne sei ein "Schlag ins Gesicht der Meinungsfreiheit": "Kommentator*innen wie Martenstein gehören zu einer offenen Debattenkultur, denn man kann sich an ihnen reiben und die eigenen Argumente schärfen", schreibt sie. "Dennoch hat die Chefredaktion zur Löschtaste gegriffen und dem Autor damit im Grunde keine Wahl gelassen, als selbst zu gehen. Nach einem halben Leben beim Tagesspiegel ist das auch menschlich betrachtet keine Glanzleistung."
Der 68-jährige Martenstein hat seit 1988 für den Tagesspiegel geschrieben. Seine wöchentliche Kolumne im Zeit-Magazin, die wie der Tagesspiegel zu Dieter von Holtzbrinck Medien gehört, wird weiter erscheinen.
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