Helmut Thoma: RTL und G+J? Das kann doch nicht gutgehn

 

Warum Helmut Thoma die Fusion von RTL und G+J kritisiert und zu dem Schluss kommt: "Bertelsmann ist ein Marketingunternehmen und kein Kreativkonzern" - sagt der Ex-RTL-Chef im kress pro-Interview.

Auszug aus dem Titelinterview in kress pro - Magazin für Führungskräfte in Medien:

kress pro: Wenn wir noch einmal auf Ihr eigenes einstiges Kind schauen: Wie groß ist denn Ihre Sorge um RTL, wo jetzt der offenbar schon länger bei Bertelsmann gehegte Plan, den Sender radikal mit einem Zeitschriftenverlag zu fusionieren, für so viel Unruhe und immer neue Personalien sorgt?

Helmut Thoma: Das kann doch nicht gut gehen. RTL und Gruner + Jahr sind zwei absolut unterschiedliche Welten. Was soll das? Wir haben es ja auch schon mal versucht. Ich hatte mit meinen Leuten bei RTL damals gesagt: Warum sollen wir nicht mit der "Brigitte" Fernsehen machen? Ergebnis war schon damals: Es funktioniert nicht. Was passiert ist, ist doch dagegen: Die Cashcow Gruner + Jahr, die lange Jahre Bertelsmann erhalten und weitergeführt hat, ist zum Erlahmen gekommen. Print ist in dieser Form als Massenmedium out!

Das sehen aber doch noch einige Kollegen anders.

Ich aber nicht. Die Ablösung von Print hat mit den technischen Entwicklungen zu tun. Vertrieb kann man mit einem Knopfdruck im Internet machen. Man braucht kein Papier, um schnell und tagesaktuell zu sein. Es wird sicher immer Print geben  - gar keine Frage. Aber eben für spezialisierte Dinge, Fachdienste und Ähnliches. Als Massenmedium ist Print aber am Ende angekommen. Es gibt Gedrucktes oft nur noch, weil es subventioniert und auch von einer rückständigen Werbewirtschaft mit gefördert wird. Fürs analoge Fernsehen sieht die Lage ähnlich aus.

Wie genau?

Mit der ungeheuren Masse von Sendern für jeden nur denkbaren Spezialbereich ist der Markt doch komplett überreizt. Es gibt jetzt gleich drei Newssender und Scharen von Film- und Unterhaltungssendern wie auch Netflix. Dadurch ist der Raum erheblich kleiner geworden. Ein Ausweg wäre, mit kreativen Lösungen dagegen anzukämpfen. Aber den Fernsehmanagern fällt nichts Neues mehr ein! Ob das nun die Reaktivierung der "RTL Samstag Nacht" oder das "Wetten, dass ...?" beim ZDF ist: Das deutsche Fernsehen käut doch nur wieder.

Ein düsteres Bild. Gibt es keinen Hoffnungsschimmer?

Das Einzige, was noch einen gewaltigen Schub geben wird, ist die Technik. Wenn man es schafft, die virtuelle Realität in die Wohnzimmer zu bringen, werden die Karten komplett neu gemischt. Realität neu herzustellen, ist mühsam, aber meiner Meinung nach lohnend. Die Storys, auch in der Filmindustrie und bei den Produktionsfirmen, sind doch alle schon ausgelutscht. Die deutsche Fernsehwelt gibt ein besonders jammervolles Bild ab.

Trotz "Babylon Berlin" oder etwa "Dark"?

Das sind doch keine Erfolge. Solche Serien mögen zwar inhaltlich gut gemacht sein. Aber die Zuschauer reißen sich nicht gerade um sie. Und wenn doch, sind das Einzelerscheinungen. Angesichts des Überangebots auf dem deutschen Markt sind das Staubkörnchen. Ein Erfolg, der die ganze Industrie mitzieht, muss anders aussehen.

Bertelsmann-Chef Thomas Rabe will Groß-Geschäftsbereiche schaffen - mit dem Ziel, Facebook, Netflix oder Amazon Paroli bieten zu können.

Wenn man betrachtet, was Amazon weltweit wert ist, dann sieht das für mich nur nach einem aus: nach übersteigertem deutschem Selbstbewusstsein. Aber sonst steckt da nichts dahinter. Man kann alles zusammenlegen. Woher soll, bitte, die Schlagkraft kommen? Man könnte auch den Buchverlag ins Fernsehen integrieren. Aber was bringt das? Noch funktioniert Bertelsmann ja. Aber das Unternehmen ist eben ein Marketingunternehmen und kein Kreativkonzern. Damit hatte ich schon selbst immer zu kämpfen. Als ich mit RTL startete, war meine Lage dort so ärmlich.

[...] Helmut Thoma (83) wird nicht altersmilde. Der Ex-RTL-Chef geht mit der Branche hart ins Gericht: Er sieht hierzulande keine Fernsehtalente, kritisiert den Einfluss der Parteien auf ARD und ZDF scharf und sieht die Fusion von RTL und G+J als Fehler. Jetzt das ganze Thoma-Interview in kress pro lesen.

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