Bei einer Ressortleiterin meldete sich unerwartet der Chefredakteur eines Konkurrenztitels. Er lud sie zu einem Gespräch ein und sagte ihr dabei, dass er von ihrer Arbeit begeistert sei und sie unbedingt in seinem Team haben wolle. Der Vertragsentwurf, den sie wenig später erhielt, versprach ihr ein deutlich höheres Gehalt und mehr Einfluß. Die Ressortleiterin fühlte sich geehrt, war begeistert und besorgt zugleich. Ihr bisheriger Chefredakteur hatte sie sehr gefördert und mehrfach gebeten, seiner Redaktion treu zu bleiben. Verriet sie mit einem Wechsel das Vertrauen, das er in sie gesetzt hatte - machte sie ihn sich gar zum Feind?
Eine gute Beziehung zum Vorgesetzten erleichtert die tägliche Zusammenarbeit, bereichert persönlich und kann der Karriere entscheidend weiterhelfen. Doch sie wird auf eine enorme Bewährungsprobe gestellt, wenn Sie ein anderes Jobangebot annehmen, sich sozusagen vom Chef trennen. Insbesondere jüngere, sehr idealistische Medienprofis erleben da oft ein unschönes Erwachen: Der Vorgesetzte, mit dem sie sich befreundet glaubten, freut sich eventuell überhaupt nicht für sie, sondern reagiert verbittert, vorwurfsvoll oder wütend. Von einem Wechsel abhalten sollte das allerdings trotzdem niemanden.
Vorgesetzte reagieren ganz unterschiedlich
Keine Karriere kommt ohne Förderer aus, so gut die eigene Leistung auch sein mag. Es sind Vorgesetzte, die einem jungen Kollegen seine erste Chance geben, für ihn wichtige Kontakte im Unternehmen und in der Branche anbahnen, Anfängerfehler korrigieren und manchmal sogar auf sich nehmen. Das ist für beide Seiten vorteilhaft. Jede Redaktion braucht talentierten, ehrgeizigen Nachwuchs und jeder Chef kompetente Teammitglieder, durch die er sich auch selbst profilieren kann. Das kann viele Jahre so laufen, aber nie das ganze Berufsleben. Einmal zieht einer von beiden weiter, und oft ist es der Mitarbeiter.
(Falls Sie sich gerade selbst verändern wollen: Eine Liste der 25 wichtigsten Personalberater für Medienprofis finden Sie in kress pro, Ausgabe 9/2020).
Die Reaktion auf einen angekündigten Wechsel - "Ich habe mich entschieden, das Unternehmen zu verlassen" - kann ganz unterschiedlich ausfallen. Manche Vorgesetzte freuen sich ehrlich für ihren Mitarbeiter. Natürlich sehen sie ihn ungern gehen. Aber das Jobangebot ist für sie der Beweis, dass sie an den Richtigen geglaubt und jemanden gefördert haben, der es wert war. Für sie ist es nur normal, dass ein guter Mitarbeiter sich weiterentwickelt, die Stelle oder sogar das Unternehmen wechselt. Solche Chefs bleiben oft auch nach dem Abschied noch Mentoren oder werden zu lebenslangen Freunden.
Andere Vorgesetzte sind dagegen davon überzeugt, sich mit ihrer Förderung ewige Treue verdient zu haben. Entscheidet sich ihr Mitarbeiter für eine neue Stelle, bewerten sie das als Entscheidung gegen sie persönlich, als Zeichen von Dankbarkeit, Illoyalität oder sogar Verrat. Für sie ist ein Wechsel nur akzeptabel, wenn sie ihn selbst angestoßen haben. Geht der Mitarbeiter von sich aus, reagieren sie verletzt, wütend oder gar drohend ("Du brauchst dich hier nie wieder melden. Diese Tür hast du selbst zugeschlagen!"). Doch solch ein Verhalten ist, neben den Chancen im neuen Job und dem meistens sowieso schon unterschriebenen neuen Vertrag, eher noch ein zusätzlicher Grund zu gehen.
Vom bisherigen Förderer emanzipieren
Im Moment der Trennung zeigen sich Charakter und Souveränität eines Vorgesetzten. Als Mitarbeiter sollten Sie auf beide Reaktionen und auch unfaire Vorwürfe vorbereitet sein. Was Sie als derjenige, der gehen will, tun können: Höflich und respektvoll bleiben, sich bedanken - und bei einer negativen Reaktion abwarten, wie sich die Beziehung langfristig entwickeln wird. Hat Ihr bisheriger Chef erst einmal einen Nachfolger für Sie gefunden, ist er vielleicht wieder versöhnlicher eingestellt. Möglicherweise stellt sich aber auch heraus, dass die vermeintliche Freundschaft im Job eher eine recht nüchterne Zweckallianz war.
Junge Medienprofis emanzipieren sich in dieser Situation von ihren Förderern. Sie blicken nicht mehr nur zu ihnen auf, wie es zu Beginn der Zusammenarbeit vielleicht war, sondern sind zunehmend auf Augenhöhe. Dabei entwickeln sie auch eine Vorstellung davon, was sie ähnlich und was sie anders als ihre Vorgesetzten machen würden, denen sie in jedem Fall so viel verdanken. Gute Chefs erkennen, wenn ihr einstiger Schützling sie nicht mehr braucht, sondern weiterziehen kann und für seine Weiterentwicklung auch sollte. Im Idealfall empfehlen sie ihn sogar selbst für eine neue Position, wenn er zu lange zögert.
Für beide Seiten empfiehlt es sich, bei beruflichen Abschieden daran zu denken, dass man sich wahrscheinlich im Leben noch mehrmals wiedersehen wird. Die Medienbranche ist vergleichsweise klein. Der heutige Praktikant, Volontär oder Jungredakteur kann in einigen Jahren der Vorgesetzte sein, der heutige Chef dagegen der ältere freie Mitarbeiter, der nun um einen Auftrag bittet und sich freut, wenn er noch Interesse findet. Wenn man sich in all den unterschiedlichen Konstellationen immer respektvoll und herzlich wieder begegnen kann, hat man beruflich und menschlich vieles richtig gemacht.
Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der Freien Presse, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

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