Der Wutanfall von Ex-Geo-Chefredakteur Gaede

06.02.2023
 

Im Vorfeld des morgigen "Townhall Hamburg" bei G+J am Baumwall liegen die Nerven blank. Peter-Matthias Gaede, 20 Jahre lang Geo-Chefredakteur, bis 2014 bei G+J im Aufsichtsrat, rechnet im WirtschaftsWoche-Interview hart mit den Verantwortlichen bei Bertelsmann und RTL ab.

In den Redaktionen von Gruner + Jahr kursierte in der vergangenen Woche ein Brief, in dem Peter-Matthias Gaede mit Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe hart ins Gericht geht. Im Interview mit Tobias Gürtler von der WirtschaftsWoche sagt Ex-Geo-Chefredakteur Gaede, wie es dazu kam:

"Es war ein Wutanfall, den ich zunächst an einige 'Geo'-Kollegen per E-Mail geschickt habe. Als eine Art Trost, ohne trösten zu können. [...] Ich war und bin fassungslos angesichts dieser sich abzeichnenden desaströsen Managementleistung bei Bertelsmann. Etwa ein Jahr ist es her, dass Gruner + Jahr mit RTL fusioniert worden ist. Thomas Rabe sprach da von einem Masterplan, von Synergieeffekten, von 'Cross-Media-Champions', von einem 'Meilenstein in der Stärkung von Bertelsmann'. Und es gab die Versicherung, dass der Name Gruner + Jahr nicht getilgt würde. Und all das wird nun, wie es aussieht, bis auf Restpartikel einfach einkassiert."

Für Gaede ist es jetzt keine große Überraschung, dass "Bauer sucht Frau" nicht mit "Art" zusammenpasst. Und Bohlen nicht mit "Geo Epoche". Es habe wohl bei RTL jede Menge Gipfeltreffen auf der Suche nach den versprochenen Potenzialen zu einer Gemeinsamkeit gegeben. "Ergebnis: Ratlosigkeit", konstatiert Gaede.

Die langjährige G+J-Führungskraft redet sich im WiWo-Interview in Rage: "Auch wenn es nicht so kommen sollte: Es ist doch eine unfassbare Wertzerstörung, ausgerechnet den anerkanntesten Zeitschriftenverlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, der fast in jedem Segment bis heute die anerkanntesten Marken hat, derart verhäckseln und verscherbeln zu wollen. Und es mag ja nostalgisch sein: Trotzdem bedauere ich es, dass Gruner + Jahr, einst ein Juwel in der Krone von Bertelsmann, aus der Sicht eines gelernten CFO, der offenbar mehr gejoggt als gelesen hat, derart als Ramschware empfunden wird."

Gaedes Hauptkritik an Thomas Rabe: Der Bertelsmann-Chef sei ein kühler Rechner, der kein Gespür dafür habe, womit sich seine Belegschaft täglich zu befassen habe.

"Ein Spitzenmanager in einem Publishing House sollte meiner Ansicht nach doch irgendetwas zu tun haben mit der Ware, die in diesem Publishing House entsteht. Eine Mindestempathie sollte er doch haben, irgendein Gespür für die Inhalte, irgendein Gefühl dafür, dass auch ein Zeitschriftenverlag eine Bedeutung für die demokratische Willensbildung hat. Für die Wissensvermehrung einer Gesellschaft, für die Stilbildung, für die Qualität des Vergnügens, für die Qualität der gesellschaftlichen Informiertheit und Partizipation."

Das Wichtigste aus den Medien - einmal am Tag: Jetzt den kressexpress bestellen

Gaede nimmt auch das Managment unterhalb von Rabe in die Pflicht: Man müsse auch die Akteure dort fragen, was sie Rabe eigentlich erzählt hätten, was sie in den vergangenen zwölf und mehr Monaten gemacht hätten. Gaede fragt: "Was ist aus der berühmten Super-App RTL+ geworden, auf der sich alle Inhalte von Gruner + Jahr und RTL zu einer Krone der Inhalteschöpfung vereinen sollten? Wart ihr Phantasten? Wart ihr betrunken?"

Philipp Köster, Chefredakteur des Gruner-Titels "11 Freunde", hatte in der letzten Woche getwittert:

"Wenn in den letzten Monaten ernsthaft nach Synergien und Möglichkeiten gesucht worden wäre, die G+J-Marken in den RTL-Kosmos zu integrieren, warum ist dann mit keinem einzigen Chefredakteur jenseits des 'Sterns' darüber gesprochen worden?"

Mit der Geo-Redaktion habe es kein Gespräch seitens Rabe gegeben, fügt Peter-Matthias Gaede im WiWo-Interview hinzu. Und Geo sei schließlich nicht einfach nur irgendein Titel im Portfolio von Gruner + Jahr, sondern eine große, traditionsreiche Marke, die nicht dahinsieche, die immer noch jährlich Millionen Euro Profit abwerfe, so Gaede.

Hintergrund: RTL hatte zum Jahreswechsel 2021/22 die Magazinsparte des Verlagshauses - beide Unternehmen gehören zum Bertelsmann-Konzern - in sein Portfolio integriert und will mehr Synergien schaffen. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Titelportfolio überprüft wird. Bekannte Zeitschriften von Gruner + Jahr sind zum Beispiel Stern, Geo, Brigitte und Schöner Wohnen.

Ein Sprecher von RTL Deutschland sagte in der vergangenen Woche: "Die Analyse des Titelportfolios läuft. Ergebnisse stehen noch nicht fest, sie sind für das erste Quartal 2023 geplant und werden dann entsprechend kommuniziert. Es finden keine Verkaufsgespräche statt." Zu Spekulationen über einzelne Titel äußerte sich der börsennotierte TV-Konzern nicht.

Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hatte im vergangenen September verkündet: "Das Magazingeschäft steht beispielsweise aktuell besonders unter Druck. Darum werden wir das Titelportfolio überprüfen und nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind."

Einmal am Tag: Exklusive Storys, Personalien, Debatten & Jobs in unserem kressexpress. Jetzt unseren kostenlosen Newsletter bestellen - und nichts mehr aus der Welt des Publishing verpassen!

Ihre Kommentare
Kopf

Angelika Müller

07.02.2023
!

Herr Gaede, Sie sprechen mir in vielen Punkten aus der Seele. Insbesondere in dem Teil zum Punkt „Wertvernichtung“. Ich halte es nicht nur für nostalgisch, wenn man unter „Wert“ mehr als den reinen finanziellen Wert sieht. Ich bin fassungslos angesichts der Entwicklung rund um G+J. Und das, obwohl ich nicht einmal so nah dran bin. Irgendwie fühle ich mich an das kopflose Gebaren von Herrn Musk bei Twitter erinnert.


X

Kommentar als bedenklich melden

 
×

Bestätigung

Dieser Kommentar wurde erfolgreich gepetzt.

×

Oooooooooops

Beim Petzen trat ein Fehler auf. Versuchen Sie es bitte noch einmal.

Inhalt konnte nicht geladen werden.