Der Bertelsmann-Konzern aus Gütersloh gebe sich gerne als Diener der Republik. Die Entscheidungen beim Tochterverlag Gruner und Jahr zeigten: Dies sei eine Fiktion, kommentiert Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung:
"Unter einem Aspekt sind die Entscheidungen, die die Bertelsmann AG am Dienstag verkündet hat, unbedingt zu begrüßen: Endlich beerdigt sie diese Fiktion. Jetzt sieht jeder, dass im Hauptquartier in Gütersloh keine Diener der Republik sitzen, sondern ganz normale Versager", so Esslinger.
Und weiter: "Es ist wie so oft in Unternehmen, die straucheln, gleich welcher Branche. An der Spitze sitzen Leute, denen offensichtlich der innere Bezug zu den Produkten ihrer Firma fehlt; jedenfalls gibt es keine Sätze von ihnen, die dies erkennen ließen. Also flüchten sie (wie der Bertelsmann-Chef am Dienstag) in Imponierwörter wie 'Portfolioanalyse' oder 'Transformationspotenzial' und hoffen, dass sie so irgendwie durchkommen. Vielleicht sollten sie bei der Stiftung in Gütersloh mal eine Studie in Auftrag geben, warum eine Gesellschaft solche Medien wie die von Gruner und Jahr braucht und wie man sie pflegt."
Michael Hanfeld wird in der FAZ ähnlich deutlich wie sein Kollege in der SZ, spricht von einer "historischen Zäsur". Für Hanfeld ist Gruner + Jahr Geschichte. Um seine Strategie zu schützen rechne RTL-Chef Thomas Rabe G+J zum "Pleiteladen" herunter. Hanfelds hartes Fazit:
"Bei Gruner + Jahr und bei RTL hat Rabe ganze Führungsetagen rasiert und ein Verantwortungschaos angerichtet, das Kapitel Gruner + Jahr hat er geschlossen. In den Niederlanden und in Frankreich ist er mit Fusionsplänen an den Kartellbehörden gescheitert. Den Mitarbeitern dort bleibt einiges erspart."
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Für Ex-"Geo"-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede sind die G+J-Entscheidungen der RTL-Spitze so etwas "wie der Sieg des Mainstreams über die Liebhabereien vieler kleiner Communities of Interest", sagt er gegenüber turi2. Es sei ein gutes Zeichen, dass der Baumwall "doch nicht gänzlich in einen Friedhof der Mediengeschichte verwandelt" würde. Doch müssten viele der Übriggebliebenen befürchten, "Zombies im RTL-Reich" zu werden.
Die Autorin Verena Carl sieht eine Kultur untergehen. Jeder eingestellte G+J-Titel sei ein "Schlag in die Magengrube". Carl hat für das Hamburger Abendblatt einen emotionalen "Nachruf" verfasst.
"Was damit verloren geht, sind aber nicht nur Jobs und Einkommen, nicht nur Illusionen, Ideen und Beziehungen. Sondern eine Kultur, deren Wert sich nicht in Umsatzkurven und Renditeprozenten ausdrücken lässt", schreibt Carl, die für einige G+J-Magazine gearbeitet hat. Am Ende seien alle Verlierer: als Schreibende, als Lesende, als Hamburger.

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