"Die Entwicklungen bei Gruner + Jahr treffen unsere Branche ins Herz", beginnt Julia Becker ihren emotionalen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Das Zerschlagen eines traditionsreichen und bedeutenden Verlags und das Verschwinden vieler großer und kleiner Magazinmarken kann uns nicht egal sein." Für Becker ist die von Politik und Medien zum Ausdruck gebrachte Sorge um die publizistische Vielfalt und die überwältigende Solidaritätswelle mit den bedrohten G+J-Journalistinnen und -Journalisten bislang in dieser Form wohl einzigartig. Das allein reiche aber nicht.
"Mit eindimensionalem Zahlendenken hat unsere Branche keine Zukunft. Gefordert ist ein neues verlegerisches Denken, das visionär, tatkräftig und begeistert die Herausforderungen der Digitalisierung an- und den Kampf um die Rettung des Journalismus aufnimmt. Dafür brauchen wir die besten Techniken, vor allem aber die besten Inhalte - und damit die besten journalistischen Köpfe und nicht zuletzt Manager, die nicht nur für Zahlen, sondern vor allem für Journalismus brennen", so Becker in der FAZ.
Die Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Mediengruppe schlägt einen Runden Tisch von Verlegerinnen und Verlegern vor. "An ihm könnten wir gemeinsam mit Journalistinnen und Journalisten, Managern, Verbandsvertretern und Wissenschaftlern Wege suchen, unabhängigen Journalismus zu retten." Kluge Kooperationen, gemeinsame Projekte, neue journalistische Formate und Kanäle, aber auch unkonventionelle Ideen für das Recruiting des journalistischen Nachwuchses müssten entwickelt und ausprobiert werden. Funke werde diese Initiative auf den Weg bringen und damit einen Impuls setzen, um die Branche noch näher zusammenrücken zu lassen. Man habe nur eine Chance, wenn man partnerschaftlich zusammenarbeite.
Beckers Appell: "Wir Verlegerinnen und Verleger sollten endlich entsprechend handeln. Es geht um viel: den Journalismus, unsere Gesellschaft, unsere Demokratie."
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Der FAZ-Gastbeitrag der Funke-Verlegerin ist zugleich auch eine laute Kritik an Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe. "Wir Verlegerinnen und Verleger müssen natürlich auch auf die Zahlen schauen - unabhängig kann Journalismus nur sein, wenn er profitabel ist. Was uns aber treibt, sind vor allem Inhalte und die Resonanz unserer Leserinnen und Leser." Kreative Verlage hätten längst erkannt, "dass hier eine enorme Chance liegt: Dank des Netzes können sie so viele Leserinnen und Leser erreichen, wie niemals zuvor."
Becker wird noch deutlicher: "Bertelsmann unter Chefcontroller Rabe hat diesen Kampf offensichtlich aufgegeben." Anders sei es nicht zu erklären, dass das Management auch Titel einzustellen beabsichtige, die Gewinne schreiben. "Statt kreative Ideen zu ihrer inhaltlichen und wirtschaftlichen Weiterentwicklung zu suchen, wird mutlos der Rückzug angetreten."
Mit Blick auf den Gastbeitrag kommentiert ein RTL-Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur: "Wir äußern uns grundsätzlich nicht über andere Verlage und deren Strategien."
Hintergrund: Vor knapp zwei Wochen hatte der Medienkonzern RTL Deutschland, der die Magazinsparte des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr zum Jahr 2022 übernommen hatte, nach einer Portfolioüberprüfung das Aus von mehr als 20 Zeitschriften bekanntgemacht. Zudem sollen mehrere Magazine verkauft werden, insgesamt würden rund 700 der 1900 Stellen wegfallen. RTL will sich auf Kernmarken wie Stern oder Geo konzentrieren und dort ins Digitale investieren. RTL erhofft sich Synergien beider Häuser. Gruner + Jahr und RTL zählen zum Portfolio von Bertelsmann in Gütersloh.
Zu Funke mit Sitz in Essen gehören zahlreiche Regionalzeitungstitel wie das Hamburger Abendblatt und die Berliner Morgenpost, zudem viele Zeitschriftenmarken wie Hörzu, Gong, Bild der Frau, Donna und Kronendach.

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