Besonders fragwürdige Rolle im Fall Canonica: NZZ kritisiert Spiegel scharf

27.02.2023
 

"Der 'Spiegel' will den Schweizer Harvey Weinstein entlarvt haben", spottet die NZZ. Die Zeitung dokumentiert, wie Medien im Fall des gefeuerten Chefredakteurs Finn Canonica "mit Lügen und Übertreibungen ihre Glaubwürdigkeit verspielen".

Was ist passiert?

Die Journalistin Anuschka Roshani hat in einem Spiegel-Gastbeitrag jüngst schwere Vorwürfe gegen Finn Canonica, bis Juni 2022 Chefredakteur von "Das Magazin", erhoben. Roshani arbeitete selbst von 2002 bis 2022 für das renommierte Schweizer Blatt, das als Samstagsbeilage der Tageszeitungen erscheint, die die Tamedia-Gruppe herausgibt. ´

Canonica habe "ein Regime des Mobbings" installiert, so Roshani in ihrem Text im Spiegel, für den sie früher selbst gearbeitet hat. Roshani schreibt von "verbalen Herabsetzungen", etwa der Unterstellung, sie habe sich journalistische Leistungen mit Sex erschlichen. Auch ihre Herkunft soll eine Rolle gespielt haben.

Im Sommer 2022 verkündete Tamedia, dass Finn Canonica das Magazin verlassen werde. Kurz darauf trennte sich Tamedia auch von Anuschka Roshani. Die Journalistin reichte im November Klage gegen das Verlagshaus ein - "wegen Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und Mobbings".

In einer aktuellen Stellungnahme der Tamedia-Geschäftsleitung, in Person von Andreas Schaffner und Mathias Müller von Blumencron, die auf den Spiegel-Gastbeitrag reagierten, heißt es: Man habe sich sowohl von Finn Canonica als auch - aufgrund der Untersuchung bei Tamedia - von Anuschka Roshani getrennt. "Viele ihrer Vorwürfe erwiesen sich als nicht haltbar". Nach Abschluss der Untersuchung bei Tamedia habe sich herausgestellt, "dass sich ein erheblicher Teil der Vorwürfe, insbesondere der Vorwurf sexueller Belästigung, nicht bestätigen ließ", betonen darin Schaffner und von Blumencron weiter. 

Was kritisiert die NZZ genau?

Für die NZZ-Autoren Lucien Scherrer und Nadine Brügger ist der ehemalige "Magazin"-Chefredakteur Canonica ein Beispiel dafür, "wie weit es verbal übergriffige und charakterlich ungeeignete Personen in der Medienbranche bringen können, weil sie von Kollegen protegiert werden und Firmenverantwortliche wegschauen". Sein Fall zeige aber auch, wie unseriös und manipulativ führende deutschsprachige Medien zu Werke ginge, wenn es darum gehe, einen Skandal zu vermarkten.

Der "Spiegel"-Artikel von Anuschka Roshani hat aus Sicht der NZZ im deutschen Sprachraum eine Empörungswelle ausgelöst. "#MeToo kommt in die Schweizer Medien", habe die FAZ geschrieben. Journalisten hätten sich mit Enthüllungen zu überbieten versucht. Die Berichterstattung sei geprägt von Übertreibungen, Schuldzuweisungen, Vertuschung, Häme und Heuchelei.

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Luicen Scherrer und Nadine Brügger stören sich auch daran, dass Roshani in ihrem Spiegel-Text mehrmals auf den Filmproduzenten Harvey Weinstein angespielt habe. Weinstein ist in den USA wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verurteilt worden, über hundert Frauen haben gegen ihn ausgesagt.

"Die 'Spiegel'-Redaktion verstärkte diese Assoziationen, indem sie Roshanis Beitrag mit einem Bild illustrierte, auf dem Harvey Weinstein zu sehen ist, begleitet von einem Polizeibeamten. Der Teaser '#MeToo im Schweizer Journalismus' suggeriert ebenfalls, dass es hier um einen Fall von Weinsteinschen Dimensionen geht", kritisieren Scherrer und Brügger in der NZZ. Die Verweise auf Weinstein seien angesichts des vorliegenden Untersuchungsberichts im Fall Finn Canonica gewagt, geradezu grotesk

"Die Vorwürfe gegen ihn basierten zum Teil auf Hörensagen, Absprachen unter ehemaligen Mitarbeitern und Dramatisierungen. So schreibt Roshani in ihrem 'Spiegel'-Gastbeitrag, Canonica habe tourettehaft das Wort 'ficken' benutzt. Erwiesen ist jedoch nur, dass er häufig 'fuck" sagte, was in der Umgangssprache doch eine andere, harmlosere Bedeutung hat. Gerüchte über eine Affäre mit einer Untergebenen liessen sich nicht beweisen", heißt es in der NZZ.

Eine Spiegel-Sprecherin stellte gegenüber der NZZ auf Anfrage klar: "Darüber hinaus wird an keiner Stelle behauptet, dass die Taten Weinsteins und das Führungsverhalten Canonicas gleich zu bewerten sind."

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