"Kahlschlag Nr. 2" oder "Radikalkur"? Das Medienecho zu den Entscheidungen bei Bild & Welt

01.03.2023
 

Der Tag danach: Anna Ernst (SZ) und Michael Hanfeld (FAZ) kommentieren den von Springer-Chef Mathias Döpfner verkündeten Personalabbau bei Bild & Welt sehr gegensätzlich. Parallelen zu den Entscheidungen von Thomas Rabe bei G+J sieht nur einer von beiden.

"Mathias Döpfner hat das große Besteck ausgepackt", beobachtet Michael Hanfeld in der FAZ und spielt auf die folgenschweren Verkündungen des Springer-Chefs an.

"Seit Dienstag haben es die Mitarbeiter von Springer mündlich und schriftlich. In einem Memo legt 'Mathias' dar, das Ziel sei 'Digital Only'. Das heißt konkret: Bei Bild und Welt fallen Stellen weg. Kein Job erscheint mehr sicher, nicht in der Redaktion, nicht in der Produktion", so Hanfeld.

Döpfner hatte am Dienstag angekündigt, sich "von Kollegen trennen" zu wollen, wenn bestimmte Profile zu den erforderlichen Kompetenzen nicht mehr passten. In den Bereichen Produktion, Layout, Korrektur und Administration werde es deutliche Reduzierungen von Arbeitsplätzen geben.

Wie "deutlich" das ausfällt, hat Döpfner noch nicht gesagt. Doch die Erwartungen sind klar benannt: "Um auch künftig wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, muss sich unser Ergebnis im deutschen Mediengeschäft in den nächsten drei Jahren um rund 100 Millionen Euro verbessern. Durch Umsatzsteigerungen, aber auch durch Kostenreduzierungen."

Hanfeld sieht in der "Gewinnerwartung, die sich gewaschen hat", den Einfluss der amerikanischen Finanzinvestoren KKR, die einen großen Anteil an Springer halten.

Döpfner hatte am Dienstag auch betont, dass die Freiheit, unabhängigen und kritischen Journalismus machen zu können, abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg sei. Diese Worte erinnerten zwar an Bertelsmann- und RTL-Deutschland-Lenker Thomas Rabe, der jüngst drastische Entscheidungen bei G+J getroffen hat, allerdings weise Rabes Kurs kaum Gemeinsamkeiten mit Döpfners Strategie auf, analysiert Michael Hanfeld in der FAZ.

"Rabe rechnet Zeitschriften zu Pleiteobjekten herunter und schlägt sie kurz und klein, was in der gesamten Branche als verheerendes Zeichen gewertet wird, wie man zuletzt bei Julia Becker, der Aufsichtsratsvorsitzenden der Funke Mediengruppe, nachlesen konnte", so Hanfeld. Döpfner hingegen unterziehe die Springer-Titel einer "Radikalkur" und setze Akzente. Reichweite habe bei Bild jetzt die oberste Priorität, was sie für Werbekunden attraktiv halten soll. Bei Welt seien es gut bezahlte und haltbare digitale Abos.

Hanfeld sieht für die Journalisten bei Bild ungemütliche Zeiten anbrechen: "Den Kollegen bei G+J haben sie aber immerhin eines voraus: Ihr Oberboss glaubt an den Journalismus. Der Bertelsmann-Chef beerdigt ihn gerade."

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Für Anna Ernst sind die angekündigen Einschnitte bei Springer "der zweite große Kahlschlag in der Branche innerhalb weniger Wochen", wie sie in der Süddeutschen Zeitung anführt. Die 100 Millionen Euro, die Springer in den kommenden drei Jahren im deutschen Mediengeschäft einsparen will, hört Ernst wie einen Kanonenschlag widerhallen. Ähnlich wie bei Bertelsmann betone auch Springer, dass man spare, "um zu investieren".

Ein großer Einschnitt sei auch, dass Springer den Zustellservice der Bild am Sonntag und der Welt am Sonntag Mitte des Jahres einstellen werde. Dann sind die Wochenzeitungen nur noch an Kiosken, Tankstellen, in Bäckereien und Supermarktregalen erhältlich. Ein Konzernsprecher von Springer bestätigt der SZ die Pläne.

Anna Ernst zitiert in ihrem Bericht auch aus einer Rede von Johannes Boie, die der Bild-Chef vor der Belegschaft gehalten habe. Boie habe sich "aus tiefstem Herzen" auch bei den Mitarbeitern bedankt, die den Weg weg vom Printgeschäft nun "nicht mitgehen möchten" und habe sie mit einem "Dank für die Geradlinigkeit" aus der Tür komplimentiert, weiß Ernst.

In der Bild-Belegschaft frage man sich, wie Stellenstreichungen und steigende Qualität zusammenpassen sollen. Der SZ liegen nach eigenen Angaben Auszüge der Mitarbeiter-Fragen vor, die am Dienstag bei einer digitalen Konferenz im Chat vorgebracht worden seien. "Bild ist in wichtigen Ressorts extrem unterbesetzt. Wie passt das noch zusammen mit qualitativem Journalismus?", habe dort ein Mitarbeiter Richtung Chefredaktion der Bild gefragt. Es gebe kaum mehr Zeit für exklusive und investigative Recherchen, man sei mit den Kräften am Ende. Bild-Chef Boie sieht laut SZ die "Herausforderungen" an ganz anderer Stelle: "Jede und jeder hier muss sich fragen: Bin ich schon fit für diese Zukunft? Wo kann ich dazulernen? Was fehlt mir?"

Für Anna Ernst haben die Entwicklungen bei Axel Springer noch eine andere, größere Bedeutung. Für viele Regionalzeitungen gelte Springer als Vorreiter und Orientierungspunkt bei Online-Strategien. "Wenn dort ein massiver Stellenabbau ansteht, werden auch Kreditgeber und Investoren nervös. In manch einem Verlag spricht man schon jetzt von einer Art 'Schicksalsjahr', in dem sich die Zukunft des Journalismus entscheiden könnte", so Ernst.

Christoph Schmitz, Mitglied im ver.di Bundesvorstand, hat die Entscheidungen bei Axel Springer scharf kritisiert:

"Erneut kündigt mit Axel Springer ein Großverlag an, ohne wirtschaftliche Not und mit Blick auf im Vergleich zu anderen Branchen übersteigerten Gewinnerwartungen, sich gegen journalistische Vielfalt im eigenen Verlag zu entscheiden. Nach Bertelsmann nun auch der international agierende Axel Springer-Konzern. An der guten und erfolgreichen Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in Redaktionen und Verlagsabteilungen liegt es nicht. Es ist eine abgehobene Unternehmensstrategie, die Renditeerwartungen in den Aufsichtsräten bedient, die immer weniger verlegerische Züge trägt."

Alle weiteren Ausführungen vom Strukturwandel, Digitalisierung und KI seien, so erklärt Schmitz weiter, nicht zwingend für den nun erkennbaren Umfang des Personalabbaus. Ein so ertragreicher Konzern wie Axel Springer könne aus den laufenden Gewinnen in Journalismus investieren und die journalistischen Kolleginnen und Kollegen weiterhin beschäftigen. Auch das Geraune von papierloser Zeitung folge letztlich der Strategie auf einen digitalen Zeitungsvertrieb zu setzen, der zu Arbeitsplatzabbau in Druckereien führt und Investitionen in Drucktechnik vermeidet. Dieser Markt würde dann Wettbewerbern von Axel Springer überlassen, so Schmitz.

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