"Rätselhaft" & "ziemlich chaotisch": Das Medienecho zur Abberufung der Bild-Chefs

17.03.2023
 

Der Tag danach: Michael Hanfeld (FAZ), Laura Hertreiter (SZ), Anton Rainer & Alexander Kühn (Spiegel) und Alexander Kissler (NZZ) kommentieren die Abberufung der kompletten Bild-Chefredaktion. Die Journalisten fragen sich auch, "was Springer-Chef Mathias Döpfner eigentlich reitet".

"Springer hat die komplette Chefredaktion der Bild-Zeitung abrupt abberufen. Das vermittelt den Eindruck, der Konzern wisse nicht mehr, was er mit dem Massenblatt anfangen soll. Ziemlich chaotisch", findet Michael Hanfeld in der FAZ.

Hanfeld verweist in seinem Kommentar darauf, dass sich damit auch das Gerücht aus dem Dezember bestätigt hat: "Es gab es aus dem Hintergrund damals schon Hinweise, Würzbach und Strunz müssten gehen. Das wurde dann jedoch genauso wabernd halboffiziell dementiert, wie das Gerücht entstanden war. Jetzt haben wir es amtlich: Das Gerücht hatte einen handfesten Hintergrund, mit Händen zu greifen war auch, dass sich Boie, der Vorsitzende der Bild-Chefredaktion, offenbar in keiner bequemen Lage befand."

In seinem Artikel in der FAZ vergleicht Hanfeld die jüngsten drei Chefredakteure bei Bild: Boie, Julian Reichelt und Tanit Koch: "Reichelt gab Vollgas, polarisierte auf Teufel komm raus und brachte die ganze Branche zum Kochen; Boie setzte auf Journalismus mit einem gewissen Anspruch, prügelte nicht permanent auf alles ein. Beides war offenbar nicht recht." Seit dem Abgang des "legendär-langjährigen" Chefredakteurs Kai Diekmann habe Springer auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau des Boulevardjournalismus drei ganz unterschiedliche "Bild"-Chefredakteure verschlissen, rechnet Hanfeld vor.

Die drei jetzigen Abgänge sind aus seiner Sicht für die Belegschaften von Bild und Welt kein gutes Zeichen: Wer nicht performe, fliege, auch wenn er oder sie gar nicht wissen, woran es bei der Performance denn gemangelt habe oder in welche Richtiung das Ruder denn rumzureißen sei.

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"Früher wird alles besser" ist die Überschrift für Laura Hertreiters Einordnung in der Süddeutschen Zeitung. Hertreiter bietet eine überraschende Perspektive:

"Es gibt so was wie Reue im Axel Springer Konzern. Sie drückt sich niemals so richtig in Worten aus - als Vorstand Mathias Döpfner sich mal bei den Frauen entschuldigen wollte, die unter den Zudringlichkeiten des früheren Bild-Chefs Julian Reichelt zu leiden hatten, ging das gehörig nach hinten los, bis heute fühlt sich keine versöhnt. Reue drückt Döpfner viel klarer mit seinen Personalentscheidungen aus. Zum Beispiel am Donnerstag, als der Berliner Konzern die Bild-Chefredaktion 'mit sofortiger Wirkung' absetzte."

Hertreiter geht auch auf Marion Horn ein, die den Vorsitz der Chefredaktionen der Bild-Gruppe übernimmt. Sie sei eine Kennerin der alten Bild-Kultur. Horn war von 2001 an Mitglied der Chefredaktion von Bild, von 2013 an als Chefredakteurin der Bild am Sonntag. 2019 verließ sie den Konzern und arbeitete als PR-Beraterin. "Dass sie jetzt wieder an der Spitze erscheint, ist einerseits überraschend. Andererseits verblüffend konsequent, wenn man die Vorgeschichte betrachtet", so Laura Hertreiter in der SZ.

Mit der "rätselhaften Abberrufung der Bild-Chefs" befassen sich Anton Rainer und Alexander Kühn im Spiegel. Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz seien, als sie am Donnerstag gegen 13:30 Uhr in die Vorstandsetage im 18. Stock gerufen worden seien, ahnungslos gewesen, wollen Rainer und Kühn wissen. Wenige Minuten später habe Axel-Springer-Chef Döpfner ihnen ihre Abberufung als Bild-Chef mitgeteilt. Die Mitarbeiter hätten es im "All Hands"-Meeting um 14 Uhr erfahren. Die Nachfolgerin, Marion Horn, sei auch schon da gewesen. 

Eine solche Scharade hätten selbst gestandene Boulevard-Redakteure noch nicht erlebt, stellt der Spiegel fest. "Die Redaktion fragt sich nun, was Döpfner eigentlich reitet und ob er seinen Laden noch im Griff hat. Immer sprunghafter wirkt der Springer-Chef in seinen Entscheidungen, Mitarbeiter beklagen eine 'neue Qualität der Unberechenbarkeit'", kommentieren Anton Rainer und Alexander Kühn und verweisen darauf, dass Döpfner in einem Interview für den Verlag eine Zukunft ohne gedruckte Zeitungen angekündigt hatte. Nun berufe er mit Marion Horn eine dezidierte Print-Frau. Auch Robert Schneider sei "ein Mann aus der analogen Medienwelt".

Für Alexander Kissler von der NZZ ist die Demission von Claus Strunz am ehesten nachvollziehbar, weil dessen gemeinsamer Versuch mit Ex-Bild-Chef Julian Reichelt gescheitert sei, mit Bild TV einen Fernsehsender zu etablieren. Boies Abgang zeuge hingegen von einer gewissen unternehmerischen Kurzatmigkeit, die seit dem Einstieg des amerikanischen Finanzinvestors KKR im Verlag herrsche. Kisslers Prognose: Horn und Schneider werden es schwer haben. Die Sparvorgaben bleiben bestehen."        

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