Michael Hanfeld verweist in seinem FAZ-Kommentar "In Sachen Verrat sind Sie genau richtig" auf ein Formular in der Berliner Zeitung. Dort fragt man den Leser unter der Überschrift "Whistleblowing": "Haben Sie Hinweise oder Dokumente?" Wenn ja, wenn man auf Korruption, Amtsmissbrauch oder andere Missstände hinweise wolle, sei man dort richtig.
Hanfeld schreibt dazu:
"Ob man sich darauf verlassen soll und ob die Berliner Zeitung eine gute Adresse für Whistleblower ist, ja ob sie es mit dem zwingend notwendigen Informantenschutz so genau nimmt, ist allerdings die Frage. Beziehungsweise es ist keine Frage mehr, seit wir dank des Spiegel wissen, dass der Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, Informationen, die ihm der frühere Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gegeben haben soll, vernichtet und den Springer-Verlag über den Umstand unterrichtet hat, dass Reichelt sich beim Berliner Verlag und bei ihm persönlich gemeldet hatte."
Aus Hanfelds Sicht ist das ein bemerkenswerter Vorgang: "Es könnte sich um einen eklatanten Fall von Informantenverrat und einen Verstoß gegen Ziffer 5 des Pressekodex handeln." Unter dieser Ziffer heißt es: "Die Presse wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis." Davon abrücken darf man nur, wenn es um Verbrechen geht, die Pflicht zur Anzeige besteht oder "gewichtige staatspolitische Gründe überwiegen, insbesondere wenn die verfassungsmäßige Ordnung berührt oder gefährdet ist".
"Davon würden wir bei der Auseinandersetzung zwischen Springer-Verlag und Julian Reichelt, so hoch sie gehängt wird, dann doch nicht ausgehen", merkt Hanfeld in der FAZ an. Es sehe vielmehr so aus, dass der ehemalige Stasi-IM und Verleger Friedrich, der ein ganz eigentümliches Verständnis von seinem Beruf zu haben scheine, den Kollegen vom großen Springer-Verlag einen außerordentlichen Gefallen getan habe.
"Herr Döpfner, ich hab was für Sie", nennt Laura Hertreiter in der Süddeutschen Zeitung ihren Beitrag. "Es ist der etwa 67. Akt der Tragödie 'Axel Springer', das Publikum ist schon leicht ermattet - nun aber Auftritt: Holger Friedrich. Der Verleger der Berliner Zeitung erscheint überraschend im großen Bild", leitet Hertreiter ein. Für sie hat Friedrich einen "Tabubruch" begonnen, als er Ex-Bild-Chef Julian Reichelt an den Konkurrenten Mathias Döpfner "verpfiffen" habe. Dieser Akt sei nun selbst für das pyroerprobte Publikum ein besonderer Kracher.
Medienhäuser müssten ihre Informanten schützen, das sei schon laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte eine Grundvoraussetzung der Pressefreiheit, und wenn Medien sich nicht verantwortlich für ihre Quellen fühlten, dann ist für Hertrteiter "Schluss mit Journalismus".
Informanten gehe es häufig um Aufmerksamkeit, Rache oder Verrat, Steuerfahnder wüssten, dass stets nach Scheidungen die wertvollsten Hinweise eingingen. Der Informantenschutz müsse trotzdem gelten.
Hertreiter kommt in der Süddeutschen zu folgendem Fazit:
"Wenn man Holger Friedrich und seinen plötzlichen Auftritt im Springer-Epos verstehen will, liegt der Schlüssel vermutlich in einem Satz seines Interviews [im Manager Magazin], in dem er den gebrochenen Informantenschutz so erklärt: 'Das sind Standards, die in anderen Industrien selbstverständlich sind, etwa in der Finanz- oder der Automobilindustrie.' Die Aussage ist korrekt. Und Holger Friedrich wäre womöglich ein guter Autoverkäufer."
Für Hertreiter ist der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Tomasz Kurianowicz, indes eine besonders tragische Figur.
Kurianowicz gab in der Berliner Zeitung "zum Quellenschutz im Fall Julian Reichelt" am Donnerstagnachmittag ein Statement ab:
"Im Nachhinein hat Julian Reichelt die Informationen der Redaktion angeboten. Ich als Chefredakteur habe die Dokumente gesichtet und eine Berichterstattung nach ihrer Prüfung aus journalistischen Gründen abgelehnt. Holger Friedrich hat als Unternehmer und Verleger unabhängig davon den Springer-Verlag über die Kontaktaufnahme von Reichelt informiert, um seinen unternehmerischen Standards zu entsprechen - professionellen Standards, deren Einhaltung er sich auch von anderen Verlagen erhofft und die in anderen Industrien als selbstverständlich gelten.
Die unternehmerische und redaktionelle Perspektive im Fall Julian Reichelt versus Axel Springer sind demnach verschieden. Die Redaktion der Berliner Zeitung bietet Quellenschutz, unabhängig davon, wer die Quelle ist."
Kurianowicz verweist zugleich auf das Interview des Manager Magazins, in dem Holger Friedrich als Unternehmer und Verleger seine medienethischen Motive im Fall Julian Reichelt erklärt (kress.de berichtete ausführlich).

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