Der Spiegel unterstreicht einmal mehr seinen Ruf als schwer zu führendes Haus. Verschiedene Medien melden, Chefredakteur Steffen Klusmann stehe vor der Ablösung. Business Insider berichtete zuerst: Klusmann habe sich bei einer Redaktionskonferenz am Mittwoch "laut mehreren Teilnehmern gewissermaßen von der Redaktion verabschiedet". Eine offizielle Bestätigung dafür liegt allerdings nicht vor. Die Verwirrung im Haus könnte kaum größer sein.
Eine Quelle sagte kress, der Auftritt Klusmanns sei "missinterpretiert" worden. Richtig ist allerdings nach kress-Informationen, dass sich in den vergangenen Monaten Spannungen zwischen Steffen Klusmann und Geschäftsführer Stefan Ottlitz massiv zugespitzt haben. Am Tag zuvor hatte bereits eine Sitzung der mächtigen Mitarbeiter KG, die 50,5 Prozent der Anteile hält, für Aufruhr gesorgt. Dabei soll KG-Chef Markus Brauck Klusmann heftig kritisiert haben und u.a. fehlende journalistische Konzepte angemahnt haben. Diese Konzepte allerdings, heißt es bei anderen Stimmen im Haus, lägen längst vor.
Nach der heutigen Redaktionskonferenz schickte eine Riege von rund 30 Führungskräften der Redaktion des Spiegel eine Mail an die Belegschaft, die kress vorliegt: "Im Nachgang der Sitzung der Stillen Gesellschafter ist massive Verunsicherung und Verärgerung in der Redaktion entstanden". Anschließend forderte man für den späten Nachmittag (16 Uhr) eine "Informationsveranstaltung der KG-Vertreter:inner und der Geschäftsführung für die gesamte Redaktion." Ein kurzfristiges Treffen lehnten die Geschäftsführer Stefan Ottlitz und Thomas Hass aber ab und vertrösteten die Redaktion in einer Mail auf einen zeitnahen Termin.
Die digitale Versammlung fand ohne die beiden statt. Dort musste sich insbesondere KG-Chef Markus Brauck kritische Fragen und Kommentare gefallen lassen. Laut einem Teilnehmer herrscht in der Redaktion weitgehend Unverständnis und Entsetzen über das jüngste Führungschaos.
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Im Anschluss an die Versammlung wendeten sich Spiegel-Redakteure in einem internen Protestbrief an die Geschäftsführung und die Mitarbeiter KG. Der Brief liegt kress vor - unklar ist, wie viele Mitarbeiter das Schreiben unterzeichnet haben:
"Mitten im laufenden Strategieprozess Werkstatt 23 und angesichts eines erneut sehr erfolgreichen Geschäftsjahres 2022 wird für uns völlig überraschend die Chefredaktion infrage gestellt", heißt es in dem Protestschreiben von Spiegel-Redakteuren. "In schlechter Tradition" hätten viele Kolleginnen und Kollegen davon erst über die Gerüchteküche und die Mediendienste erfahren.
"Es ist für uns nicht ersichtlich, warum nun womöglich erneut ein Chefredakteur gehen soll, anstatt dass Geschäftsführung und Chefredaktion eine gemeinsame Strategie erarbeiten und für Stabilität und Kontinuität sorgen. [...] Ein Auswechseln der Chefredaktion würde keines unserer aktuellen Probleme lösen, wie die sich eintrübenden Geschäftsaussichten. Im Gegenteil, dies hätte eine erneute, mehrmonatige Lähmung des ganzen Hauses zur Folge."
Die Verfasser des Protestbriefs fordern daher die Mitarbeiter KG sowie die Geschäftsführung auf, "diesen destruktiven Kurs zu verlassen und zu einem konstruktiven Miteinander der gesamten Führung im Haus beizutragen".
Hintergrund: Am Mittwochmorgen hatte der Spiegel noch Erfolgsmeldungen in eigener Sache verkündet: Dank kräftig steigender Digital-Vertriebserlöse hat er 2022 einen Umsatz von 267 Millionen Euro und einen Jahresüberschuss von knapp 43 Millionen Euro erzielt.
Autoren: Markus Wiegand und Wolfgang Messner

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