Die schöne, neue WAZ-Welt sieht so aus: Ein 1.000 Quadratmeter großer Newsroom mit modernen Büromöbeln, Videoschirmen über einem bordeauxroten Newsdesk und Chef-Zimmer mit riesigen Fensterscheiben zum Reinschauen. Üblicherweise wirken Redaktionsstuben der WAZ-Gruppe in Essen, als habe man sie exakt so in den 70er Jahren eingerichtet und dann nichts mehr verändert.
Der bevorstehende Start des Online-Portals Der Westen bedeutet nichts weniger als das Ende des alten WAZ-Modells. Zumindest im Internet. Das Modell war Grundstein des Aufstiegs der Essener zu einem der führenden Zeitungsverlage in Europa. Möglichst in jeder Region in der man sich engagierte, wurden gleich mehrere Zeitungen gekauft. Während die Redaktionen eigenständig blieben, legte man Druck, Vertrieb, Vermarktung und dergleichen zusammen.
Und nun das: Die vier NRW-Blätter Westdeutsche Allgemeine, NRZ, Westfälische Rundschau und Westfalenpost geben im Internet ihre Eigenständigkeit auf und werden unter der Dachmarke Der Westen zusammengefasst. Einzig anhand von Logos neben Artikeln ist künftig erkennbar, aus welcher der Zeitungs-Redaktionen der jeweilige Text stammt. Über die neue Dachmarke habe man „endlose Gespräche“ geführt, sagt Westen-Chefredakteurin Katharina Borchert, 34. Die studierte Juristin war vor ihrer Berufung zur Online-Chefin freie Journalistin, die ein in der Szene beachtetes Weblog schrieb.
„Die im Print etablierten Zeitungsmarken haben ihre Bekanntheit nie auf das Internet übertragen können“, sagt Borchert. Da man ohnehin in die Marken-Bekanntheit investieren musste, sei es sinnvoller gewesen, einen neuen Auftritt für das gesamte Einzugsgebiet der Titel zu konzipieren.
Auf der einen Seite leuchtet das ein, auf der anderen Seite regiert vor allem im Pott der Lokalpatriotismus. Zudem mussten die Chefredakteure der Gruppe bereit sein, ein wenig von ihrem Einfluss an das neue Portal abzugeben. Sie haben es getan. Nun arbeiten rund 50 Mitarbeiter, darunter knapp 20 Redakteure, für die neu gegründete Online-Tochter WAZ New Media, die den ehemaligen Online-Dienstleister Cityweb abgelöst hat. Die Investitionen sind deutlich siebenstellig. Demnächst startet eine große Werbekampagne mit dem Claim: „So ist der Westen“, die für die nötige Aufmerksamkeit bei Lesern und Werbekunden in der Region sorgen soll. Verantwortlich für Sales und Marketing ist seit September Frank Schlötzer, 40, der von United Internet Media kam. Ronald Schwärzler, der als General Manager Business erst im Juli in Essen anheuerte, hat die WAZ indes schon wieder verlassen.
Das Konzept für Der Westen ist ambitioniert: Das Ziel ist eine Zusammenführung von Lokal- und Regionaljournalismus mit den Funktionalitäten von Social Networks wie XING oder StudiVZ. Die Startseite ist klassisch strukturiert. Über eine horizontale Navigation lassen sich die einzelnen Ressorts ansteuern. Große Geschichten werden untereinander angefeatured, versehen mit Links zu weiterführenden Geschichten. Auch Bewegtbilder aus der Region kann man von hier aus anklicken. In der Online-Redaktion sitzt ein dreiköpfiges Video-Team; demnächst startet das Projekt „Video im Lokalen“, in dem ausgewählte Redaktionen mit Bewegtbildern experimentieren dürfen.
Im Ressort „Community“ kann jeder Nutzer sein eigenes Profil erstellen. Das Profil zeigt neben einem Foto alle Beiträge und Kommentare des Users, seine Freunde und hochgeladene Bilder. Anhand der eingegebenen Adresse wird jeder registrierte Nutzer per Geo-Tagging auf einer Landkarte verortet. Darauf zu sehen sind aktuelle Nachrichten aus der Umgebung, befreundete Nutzer in der Nähe, Veranstaltungen und hochgeladene Fotos. Angedacht ist auch, die Standorte von Werbepartnern einzublenden. Kooperationspartner der WAZ ist die Essener klickTel GmbH.
Das Ziel dieser Anstrengung: Leute aus einer Stadt und Region sollen über lokale Themen ins Gespräch miteinander kommen. „Verlage sind auf die Kommunikationsbedürfnisse der Zeitungsleser bisher zu zögerlich eingegangen“, sagt Borchert. Keinesfalls solle User Generated Content dem Journalismus Konkurrenz machen, beteuert sie. Doch die Zeitung müsse zu einer Kommunikationsplattform im Netz werden. Das bedeute aber auch: „Wir müssen massiv neue Leser gewinnen.“ Laut IVW kamen die vier Websites im August auf 34 Mio. Page Impressions.
Rund die Hälfte der Nutzer von WAZ Online rekrutiere sich aus dem Kreis der Abonnenten. Viel zu viele, findet Borchert. Man brauche prozentual deutlich mehr Onliner, die nicht von der Zeitung auf die Websites der WAZ-Gruppe stoßen. Dazu beitragen sollen auch eigene Themen, die die Online-Redaktion setzt. Eins sei dennoch klar: „Es muß uns langfristig gelingen, die Lokalredakteure davon zu überzeugen, bei uns mitzuarbeiten.“ Ob der „Westen“ wieder ein Zuwanderungsland wird, wird sich zeigen.
Christian Meier
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